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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Revolutionsjahre die Opfer in die entsetzliche Tiefe hinabgeschleudert wurden, wer will sich dessen entsinnen, wenn die Sonne so sanft und zärtlich ist? Jetzt sind grüne Gärten mit schönen Gängen zwischen den herben Mauern, und von blühenden Terrassen sieht man in das Land hinab. Und Frühling, Frühling überall.
    Weiter mit dem eilenden Zuge. Vorbei an kleinen, reizenden Städtchen, vorbei an Tarascon – Bonjour, Monsieur Tartarin! – vorbei, vorbei. Aber noch einmal kurze Rast. Wie kann man den Frühling verstehen ohne schöne Frauen? In Arles, der Stadt der berühmten Arlesierinnen mußt Du ein paar Stunden noch verweilen. Aus Schutt und kleinen, winkeligen Häusern ragen majestätisch die Überreste römischer Zeit, das ungeheure Amphitheater und die Arena. Und ein schattiger, schmaler Gang, seltsam eingefaßt von schlichten Urnen und offenen Steinsärgen, führt aus lichtem Land in die berühmte Gräberstadt, das Alyscamps, dessen Dante in seiner ›Divina commedia‹ schon Erwähnung getan, in jenes unendliche Feld der Toten. Und doch, heute ist es ein Gang nur zwischen knospenden Bäumen; das sanfte Hüftewiegen der paar Arlesierinnen, die Dir begegnen, rührt mehr an Dein Herz als diese wuchtige Mahnung der Vergänglichkeit, Frühlingsglaube, Frühlingsfahrt.
    Und wieder weiter. Nicht allzu groß ist dieses Land der lichten Felder und des hellen Frühlings, bald ist die Provence durchmessen. Noch im Abendglühen kannst Du Marseille finden, den Port des Orients mit den unzähligen Hafengassen und dem breitausladenden, weißschimmernden Quai. Die Frühlingssehnsucht ist nun still geworden, von tausend kleinen und großen Wundern begütigt. Aber neues Bangen kommt Dich an: zu welcher Schönheit sich wenden von diesem Orte, der, ein magischer Knoten, bunte Fäden wechselnder Wege in sich verspinnt? Links, zwei Stunden weit, reiht sich die Perlenkette der Riviera, rechts winkt Spanien wie ein Märchen geheimnisvoll und fremd. Und gegenüber, weit hinter dem Meere, das blau und still sich zu Füßen der Stadt legt wie ein Seidentuch, das schmiegsam die Knie streift, weit hinter diesen Wellen, die nur wie im Traum sich wiegen, blüht die dunkle, ferne Blume Afrika…

Hydepark
    1919
    D er Hydepark Londons, wohl der seltsamste aller Großstadtparke, ist im eigentlichen Sinne nicht schön. Ihm fehlt fast alles, was den Garten zum Kunstwerk macht. Er ist flach, arm, eine englische Heide, nur an den Pforten ein wenig als Garten hergerichtet. Aber seine Schönheit liegt nicht so sehr im Sinnfälligen, als im Sinnhaften. Da gibt es zum Beispiel ein paar Stellen, auf denen man ganz ausruht. Man steht auf einer weiten Weise, die sich ins Unendliche beugt, ein grüner stiller Teich, auf dem die Bäume, von der leisen Brise angerührt, wie verankerte Schiffe ganz, ganz sacht schaukeln. Rechts, links ein paar unregelmäßige Alleen, deren Ende nicht Ausblick ist, sondern die sanft in die graue Kulisse des Nebels zurücktreten. Atmende Stille, kaum ab und zu ein paar Leute. Nur weidende Hammelherden, die kauend das Gras rupfen. Man vergißt für den Augenblick an alles, so still ist es rings. Wo mag man sein? Ist dies die Lüneburger Heide, die vielberühmte? Oder Cornwall, Herrn Tristans dunkles Land, und wird nicht plötzlich die traurige Weise des Schäfers anheben? Wuchtig packt einen dann der Gedanke an, daß diese grauen Ballen am Rand, daß diese weichen Grenzen der Ferne ungeheure Häuserblöcke sind, daß diese weite stille Heide rechts und links von Städten umgürtet ist, jede so groß wie Mailand oder Lyon oder Marseille. Von diesen Riesenstädten, die alle in die zwei Silben London eingeschlossen sind. Die fiebernde Vision Verhaerens der »villes tentaculaires«, der Städte, die mit den Polypenarmen das Grün des Landes aufsaugen und die Heiden in die graue Gallert ihrer Steinmassen ziehen, dieser wilde Traum ist ja hier in dieser zyklopischen Stadt Wirklichkeit geworden. Tausend Schiffe auf verlorenen Meeren dampfen ihr zu, Millionen rühren ihre Hände für sie, unter der Erde fliegt die Hast unterirdischer Bahnen, über die Dächer stürmen Züge, jedes Jahr speit neue Häuser ins Grüne aus – und mitten darin ruht weit, wie träumend, eine Heide mit blökenden Schafen, einem stillen, ruhigen Himmel für sich, zu dem nicht mehr der keuchende Atem der Tausende quillt. Wie Londons Schönheit, so liegt die des Hydeparks in dem unfaßbar Überdimensionalen.
    Nein – Hydepark bezwingt nicht auf den

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