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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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bildhaften Stelle, wo der Zar Peter das eherne Petschaft seines Herrscherwillens in den weichen, sumpfigen Lehm des Landes drückte, ist das alte Rußland zerbrochen worden, und dieses Petersburg, dann Petrograd und nun triumphierend Leningrad benannt, ist heute bloß ein historisches Denkmal seiner verschollenen Schicksalsmacht.
    Keine Stadt ist von dem Zarentum so kraftvoll emporgetragen worden, keine hat unter dem neuen Rußland stärker gelitten. Denn diese Stadt war für Prunk und Luxus bestimmt, für Fürsten und Großfürsten, für die Eleganz der Garderegimenter und die Verschwendung des russischen Reichtums; darum wirkt Leningrad jetzt doppelt verarmt, widersinnig und tragisch. Nicht nur sein Reichtum ist ihm genommen, seine Gesellschaft, seine Schiffahrt, sondern auch die Ministerien, Bureaux und vor allem sein Blut, seine Menschen. Denn so überlebendig, so zukunftsfreudig Moskau jetzt anmutet, so ausgelaugt, so abgeklungen, so petrifiziert das alte Petersburg. Theatralisch, ja majestätisch, hebt sich noch immer die großartige Kulisse aus Stein, aber das Licht ist verloschen, die Schauspieler abgetreten. Unverändert breit und mächtig strömen die asphaltierten Boulevards durch die Stadt, der Newskiprospekt vor allem, sieben Kilometer lang und so breit wie die Champs-Élysées, aber man könnte abends beruhigt dort Tennis spielen auf dem verlassenen Asphalt, denn ganz selten nur kreuzt ein Wagen oder ein holperndes Automobil seine leere Bahn. Mit der Verlegung der Hauptstadt, mit der Wegnahme der Ministerien und Bureaux ist die Bevölkerung von drei Millionen auf siebenhunderttausend gesunken und füllt sich jetzt langsam wieder auf eine und eine halbe Million empor. Aber wieviel Jahre werden vergehen, ehe wieder diese Esplanaden hell leuchtend aufwachen, ehe diese breiten herrlichen Paläste wieder in sich Glanz aufsaugen; für Jahrzehnte ist dieser Stadt ihr Schicksal gesprochen. Ein Wille hat sie geschaffen, und sie ist groß geworden, solange dieser Wille, dieser Absolutismus noch mächtig und schöpferisch war: die beiden einzigen genialen Zaren, Peter und Katharina, haben sie in die Welt diktiert und einheitlich durch die Hand zweier italienischer Meister, Rossi und Rastrelli, zu einem der mächtigsten Monumente der Erde gemacht. Dann kamen die müden Zaren, die schwachen, die kunstfremden, die lebensfremden. Sie konnten nur erhalten, ängstlich bewahren und kleinmütig fortsetzen, und mit ihrem Sturz hat diese Stadt ihren lebendigen Sinn verloren. Aber gerade im sinnlichen Anschauen erkennen wir am besten das Historische; und nirgends begreift man besser, als in dieser tragischen Stadt, grandeur et décadence des russischen Zarentums, seine Größe und seinen Untergang. Und man geht beinahe wie durch die hallenden Tempeltrümmer von Luxor durch diese vor einem Jahrzehnt noch prunkenden Kolonnaden, die nun sinnlos ragen inmitten nivellierter Welt, gerade noch bewohnt, aber nicht wahrhaft belebt, ein stummes Gehäuse, brausend bloß von Vergangenheiten, großartig als Geschichte, tragisch als Gegenwart.

Schatzkammer der Eremitage
    D aß ich die Eremitage wirklich gesehen habe, werde ich nie den Mut haben, zu behaupten: ich bin nur in allen ihren Sälen gewesen. Denn sie wirklich sehen, forschend sehen, eindringlich betrachten, wer vermag das in einem Tage, wer vermag das in einer Woche? Vergessen wir’s nicht über dem gleichgebliebenen Namen: die Eremitage, schon vor dem Kriege ein Museum, so groß wie das Louvre oder die von London und Berlin, hat seit der Revolution sich zum Kubus ihrer selbst entfaltet durch die Expropriation des ganzen russischen Kunsteigentums. Man denke sich einmal vergleichsweise aus, die Wiener Galerie hätte mit einem Happ die Liechtensteinische, die Harrachsche, die Czernin-Galerie, alle privaten Wiener Sammlungen und dazu noch alles, was an Kostbarkeiten und Kunstgegenständen sich in den tausend Kirchen und Klöstern Altösterreichs einzeln aufbewahrte, in sich hineingeschluckt – dann ungefähr hätte man eine vage Vorstellung von der phantastischen Erweiterung, die die Eremitage während dieser Zeit dank der kommunistischen Privatenteignung erfahren. Selbstverständlich hat sie ihre Räume gesprengt, sie ist durchgebrochen ins nachbarliche, tausendfenstrige Winterpalais und füllt nun alle Wohnräume, Prunkräume und Empfangssäle der Zarendynastien: man kann, ohne zu übertreiben, ihre Ausdehnung nach Kilometern berechnen, und schon das bloße Durchwandern

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