Stefan Zweig - Gesammelte Werke
war irgendwie selbst ganz aufgelöst in seinem Werke, er war fromm mit seinen Frommen, atheistisch mit seinen Gottesleugnern, elegant mit seinen Dandies und rustikal mit seinen Bauern: er verlor sich so ganz in seinen Gestalten und ihren Meinungen, daß von ihm selber kaum etwas übrig blieb. Und nichts wäre gefährlicher (Fred hat das geschickt vermieden), als irgendeine seiner Anschauungen, auch die über die Kunst, ganz als die seine nehmen zu wollen. Er hätte immer sophistisch mit gleicher logischer Meisterschaft das Gegenteil behaupten und festlegen können.
Man betrachte daraufhin dieses Buch (das ja allerdings künstlich, aber mit viel ordnendem Geschmack und schöpferischem Fleiß von W. Fred aus einzelnen Aufsätzen Balzacs zusammengesetzt ist. Es hebt mit einem Pathos an, als ob für Balzac die Eleganz die wichtigste Sache auf Erden sei. In Wirklichkeit war, das wissen wir ja, sie ihm persönlich indifferent; aber Balzac war nichts mehr indifferent, sobald er sich damit zu beschäftigen begann und am Schreibtisch saß. Dazu gesellt sich rasch der merkwürdig verallgemeinernde Trieb, der ihm einen Gegenstand nie vereinzelt erscheinen ließ, sondern in schnell arbeitenden Gedankenreihen ihn geschwind zu einer Welttheorie formte. Balzac wollte einmal Romane schreiben, es wurde die ›Menschliche Komödie‹ daraus, ein Werk, das sämtliche Stände, Berufe, Neigungen seiner Zeit umfassen sollte. Er wollte Notizen über die Liebe verfassen, es wurde ein System daraus, und auch hier sind solche rudimentären Ansätze zu einem System des Weltmanns, das sogar mit einer gewissen Ironie die Wichtigkeit des Themas durch Nachbildung der streng wissenschaftlichen Form betont. Wie in Spinozas Ethik, so gibt es hier Axiome, Beweise, Definitionen und Konklusionen. Und wirklich, es gelingt ihm ein Anschein realen Systems, so leicht, mit so spielerischer Hand es auch gebaut ist, verlockend durch die rasende Leichtigkeit der Diktion, durch das blendende Feuer der Axiome, die wirklich wie Diamanten unzerbrechlich flimmern, und man muß sich nur rechtzeitig erinnern, daß Balzac auch den russischen Feldzug, dem er nie beigewohnt hatte, die Landschaften von Syrien, die spanischen Kämpfe mit prachtvoller Plastik geschildert hat, ohne jemals ernstliche Studien über diese Länder gemacht zu haben, um begreifen zu können, wie es möglich war, daß er, der Unelegante, der Einsame, der ewige Arbeiter ein so vortrefflicher »Elegantologist« war.
Man muß, ich sagte es schon, die verschiedentlichen Theorien dieses »arbiter elegantiarum« nicht gar zu ernst nehmen wollen. Man darf nicht vergessen, daß im letzten Grunde diese Apologien der Eleganz nur aus unbefriedigter, unzulänglicher Sehnsucht entstanden sind, nämlich um die Mittel zum zureichenden Leben, ein paar schöne Honorare für Zeitschriftenartikel zu erlangen, daß hier von Eleganz geschrieben wurde, um selbst Eleganz zu zeugen. Die Zusammenstellung als Buch ist ja nur eine nachträgliche, eine künstliche, aber eine künstlerische. Ich finde es von W. Fred außerordentlich klug, daß er jene entzückende ›Petites misères de la vie conjugale‹, dies aufrichtigst-ärgerlichste aller Ehemannsbücher hier aufgelöst hat, weil es ja gewissermaßen das Innenleben dieser leichten Durchschnittsexistenzen gibt, deren gutbeschneiderter Außenfläche alle diese Theorien gelten. Denn, das ist eine der hübschesten Erkenntnisse Balzacs in diesem Buch, man darf die Eleganz nicht als etwas Äußeres nehmen. Eleganz verlangt Seele, ja sogar Bildung. »Man muß mindest sein Abiturium gemacht haben, um ein elegantes Leben führen zu können«, heißt ein Axiom, und Balzac meint damit, daß das rein Äußerliche, das viele an der Eleganz verachten, nur ein Reflex bestimmter seelisch verfeinerter Zustände sei. Das Kleid ist für ihn ein Uhrzeiger des Charakters. Blättert man seine Romane durch, so wird man merken, welchen Wert er als schaffender Künstler der Kleidung zuspricht. Ehe er einen Menschen zu beschreiben beginnt, befaßt er sich mit seiner Kleidung, inwieweit sie der Mode gehört, spürt den Flecken und den Rissen in seinem Mantel nach, er schätzt seine Ausgaben ab und gleichzeitig das Geschick, mit dem er sie bestreitet. Wie oft in der ›Comédie humaine‹ schildert er den Unterschied zwischen einem neuen oder rasch auf Glanz gebügelten Hut, und einmal läßt er in den ›Verlorenen Illusionen‹ den geschmacklosen Frack des Louis de Rubempré ihm sogar zur
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