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Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Stefan Zweig - Gesammelte Werke

Titel: Stefan Zweig - Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Bürgerkrieg. Da weder er noch sein Schwiegersohn rasche Entschlossenheit zeigen, zerfließt und zerrinnt über Nacht die monarchistische Partei. Fast lautlos fällt die Kaiserkrone zu Boden, auch diesmal, da sie verlorengeht, ebensowenig von Blut befleckt, als da sie gewonnen wurde; der eigentliche moralische Sieger ist wiederum die brasilianische Konzilianz. Ohne jede Gehässigkeit legt die neue Regierung dem alten Manne nahe, der fünfzig Jahre ein wohlgesinnter Herrscher des Landes gewesen, friedlich sich zu entfernen und in Europa zu sterben. Und nobel und still, ohne ein Wort der Anklage verläßt am 17. November 1889 Dom Pedro II. wie einst sein Vater und sein Großvater für immer den amerikanischen Kontinent, der für Könige keinen Raum hat.
    Seitdem sind die »Estados Unidos do Brasil« eine föderalistische Republik und sind es geblieben. Aber diese Umwandlung aus einem Kaiserreich in eine Republik hat sich ebenso ohne innere Erschütterungen vollzogen wie vordem der Übergang vom Königreich zum Kaiserreich und in unseren Tagen die Übernahme der Präsidentschaft durch Getúlio Vargas; nie sind es die äußeren Staatsformen, die den Geist und die Haltung eines Volkes bestimmen, sondern immer nur der eingeborene Charakter der Nation, der im letzten Sinne sein Bild der Geschichte aufprägt. In all seinen verschiedenen Formen hat sich Brasilien im tiefsten nicht verändert, es hat sich nur entwickelt zu immer stärkerer und selbstbewußterer nationaler Persönlichkeit. Sowohl in seiner inneren wie in seiner äußeren Politik hat es unerschütterlich, weil die Seele von Millionen und Millionen spiegelnd, dieselbe Methode angewendet: friedliche Schlichtung aller Konflikte durch gegenseitige Konzilianz. Niemals hat es mit dem eigenen Aufbau den Aufbau der Welt gestört und immer nur gefördert, seit mehr als hundert Jahren seine Grenzen nicht erweitert und mit allen seinen Nachbarn sich gütlich verständigt; es hat einzig seine immer wachsenden Kräfte nach innen gewandt; seine Bevölkerungszahl und Lebenshaltung ständig gemehrt und besonders in den letzten zehn Jahren durch straffere Organisation sich dem Rhythmus der Zeit angepaßt. Verschwenderisch von der Natur bedacht mit Raum und unendlichem Reichtum innerhalb dieses Raumes, gesegnet mit Schönheit und allen erdenkbaren potentiellen Kräften, hat es noch immer die alte Aufgabe seines Anfangs: Menschen aus überfüllten Zonen einzupflanzen in seine unerschöpfliche Erde und, Altes mit Neuem verbindend, eine neue Zivilisation zu erschaffen. Noch immer nach vierhundertundvierzig Jahren ist seine Entwicklung erst im Anschwung, und keine Phantasie reicht aus, zu erdenken, was dieses Land, diese Welt der nächsten Generation bedeuten wird. Wer immer Brasiliens Heute schildert, beschreibt unbewußt schon sein Gestern. Nur wer seine Vergangenheit ins Auge faßt, sieht seinen wahren Sinn.

Wirtschaft
    B rasilien, dem Raum nach weitaus der größte Staat Südamerikas, eine weitere Fläche umfassend, als selbst die Vereinigten Staaten Nordamerikas umspannen, ist heute eine der wichtigsten, wenn nicht vielleicht die wichtigste Zukunftsreserve unserer Welt. Hier ist unermeßlicher Reichtum an Scholle, die noch nie Anbau und Pflug gekannt, und unter ihr Erze, Mineralien und Bodenschätze, die nicht im entferntesten ausgenützt und kaum annähernd entdeckt sind. Hier besteht Siedlungsmöglichkeit in einem Umfang, den ein Phantast vielleicht richtiger errechnet als der übliche Statistiker: schon die Verschiedenheit der Kalkulationen, ob dies Land, das heute etwa fünfzig Millionen zählt, fünfhundert, siebenhundert oder neunhundert bei normaler Dichtigkeit beherbergen könnte, gibt einen Anhaltspunkt für die fachmäßigen Schätzungen, was Brasilien in einem Jahrhundert, vielleicht schon in Jahrzehnten in unserem Kosmos sein könnte. Und man unterschreibt gerne die knappe Formulierung von James Bryce: »Kein großes Land der Welt, das einer europäischen Rasse gehört, besitzt ähnliche Fülle der Erde für die Entwicklung menschlichen Daseins und einer schöpferischen Industrie.«
    Von Gestalt eine riesige Harfe, kurioserweise mit ihrer Grenzlinie das Profil ganz Südamerikas genau nachzeichnend, ist dieses Land alles zugleich, Bergland, Küstenland, Flachland, Waldland, Flußland und fruchtbar in fast allen seinen Gliederungen. Sein Klima vereint alle Übergänge vom Tropischen zum Subtropischen und Europäischen, seine Luft ist hier feucht und dort trocken, hier

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