Stefan Zweig - Gesammelte Werke
und rückt mit Fußtruppen und Dragonern an, um die Autorität der Krone zu wahren. Eine seiner ersten Maßnahmen ist, daß, um eine genaue Kontrolle zu sichern, kein Staubkorn Gold mehr aus der Provinz geschafft werden darf. Alles Gold muß zunächst an das Schmelzhaus, das er 1719 errichtet, abgeliefert werden, in dem die Regierung gleichzeitig den ihr gesetzlich zustehenden Anteil – ein Fünftel alles gefundenen Goldes – sofort in Abzug bringen kann. Aber den Goldgräbern ist jede Art Kontrolle verhaßt. Was kümmert sie in ihrer Wildnis der König von Portugal? Unter Führung Filipe dos Santos rotten sich zweitausend Männer, die ganze weiße oder halbweiße Bevölkerung von Vila Rica, zusammen und bedrohen den Gouverneur, der – von der unvermuteten Revolte völlig überrascht – den Aufrührern in einem aufgenötigten Vertrag alle Forderungen bewilligt. Aber heimlich zieht er zugleich seine Truppen zusammen und überfällt nun seinerseits die Aufständischen nachts in ihren Häusern. Der Aufrührer wird gevierteilt, ein Teil der Ortschaft niedergebrannt und von nun ab mit den strengsten und sogar grausamsten Methoden Ordnung in Minas Gerais erzwungen. Langsam beginnen sich inmitten des arbeitenden, schöpfenden, tragenden, schüttelnden Ameisenhaufens von Sklaven und Goldwäschern aus erbärmlichen Lehmhütten und flüchtig gezimmerten Zelten die Konturen einer wirklichen Stadt abzuzeichnen. Um den Palast des Gouverneurs, das Schmelzhaus und das nicht minder zur geordneten Verwaltung wichtige Gefängnis ordnen sich steinerne Häuser, enge Straßen umschließen den Hauptplatz; allmählich erheben sich die Kirchen, und zugleich mit dem unermeßlichen Reichtum, der von den Fünfzig- und sogar Hunderttausenden robotenden Sklaven aus der Erde geschüttelt und gegraben wird, hält ein absurder Luxus Einzug in diese Städte – ein frenetischer, kindischer Luxus, der im grotesken Gegensatz zur Abseitigkeit und Weltverlassenheit dieses öden Gebirgstals steht. In Vila Rica und Vila Real und Vila Albuquerque wird im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts allein mehr Gold gewonnen als in ganz Amerika einschließlich des viel berühmteren Mexiko und Peru. Aber innerhalb dieser Wildnis ist für Gold wenig zu kaufen; gierig stürzen sich die unseligen Narren des Goldes darum auf jeden pompösen Tand, den die Händler mit hundertfachem Gewinn in diese unzugänglichen Bergtäler herankarren. Abenteurer, die gestern noch Bettler waren, stolzieren in grellen samtenen Gewändern, prahlen mit seidenen Strümpfen und zahlen für eine eingelegte Pistole zwanzigfach mit Dukaten, was dieselbe Ware in Bahia in Silbermünzen wert ist; eine hübsche Mulattin kostet mehr als am Hof des französischen Königs die teuerste Courtisane. Alle Berechnungen, alle Maße werden durch die Fülle des allzu leicht geförderten Metalls hier absurd; schmutzige Gesellen verspielen mit Würfeln und Karten in einer Nacht Beträge, mit denen man in Europa die kostbarsten Gemälde eines Raphael und Rubens erwerben könnte oder ganze Schiffe ausrüsten und die wundervollsten Paläste erbauen. Aber am liebsten kaufen sie, längst zu vornehm, selbst einen Spaten in die Hand zu nehmen, für ihr Gold Sklaven und Sklaven, damit sie ihnen mehr und mehr Gold scheffeln. Der Sklavenmarkt in Bahia kann gar nicht genug heranschaffen, die Boote können kaum all diese schwarze Fracht befördern. Und so wächst die Stadt von Jahr zu Jahr, schon sind die ganzen Hügel mit den Hausungen der schwarzen Arbeitstiere wie mit Termitennestern besät, schon verschönern sich die Häuser der Sklavenbesitzer und Goldausbeuter. Sie steigen sogar – Zeichen besonderen Reichtums – bis zu zwei Stockwerken und füllen sich mit Möbeln und Schmuck. Künstler kommen, durch den erträumten Verdienst angelockt, von den Küstenstädten, um Kirchen und Paläste zu errichten und die Brunnen mit Skulpturen zu schmücken. Ein paar Jahrzehnte noch solchen wirbelnden Aufstiegs, und Vila Rica muß die reichste, die schönste und volkreichste Stadt Amerikas werden.
Aber ebenso irrlichthaft, wie er aufgetaucht, verschwindet der trügerische Zauber. Das Gold des Rio das Velhas war nur Schwemmgold, Alluvialgold gewesen, und nach fünfzig Jahren ist die kostbare Oberfläche abgeschöpft. Um das tückische Metall aus der Tiefe der Felsen zu holen, von denen Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende es in unsichtbarer Arbeit zu Sand zerrieben haben, fehlen diesen primitiven Goldwäschern die Kraft,
Weitere Kostenlose Bücher