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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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meinen Füßen heute besser geht. Wahrscheinlich eine Art Spontanheilung aufgrund ihrer Vorfreude, bald wieder zuhause zu sein. Auch Füße haben Gefühle! Niemand weiß das besser als ich. Hinten zu sitzen macht mir nichts mehr aus. Meine Wirbelsäule ist seit den letzten Nächten im Datsun nicht mehr existent. Routiniert und biegsam wie ein Schlangenmensch zwänge ich mich in das Korsett meiner vertrauten eisernen Jungfrau. Wir fahren los. John Denver singt, und eine Million Mücken winken uns traurig hinterher ... Siegburg, ich komme!

28. Dienen fürs Vaterland
4. September 1979
    Bin arbeitslos. Kriege einfach keinen Job mehr. Noch nicht mal als Hilfsarbeiter. Dabei wäre ich gerade für diese Tätigkeit mit meiner Qualifikation perfekt geeignet, denn ich habe ja noch nicht mal einen Hauptschulabschluss. Schuld an meiner Misere ist aber nicht die deutsche Bildungspolitik, sondern die deutsche Verteidigungspolitik. Solange ich nicht bei der Bundeswehr war, ist für viele Arbeitgeber das Risiko zu groß, mich einzustellen.
    Viele meiner Kumpels wurden schon eingezogen. Natürlich haben alle verweigert. Man will was für den Frieden tun und gegen den Strom schwimmen. Außerdem hat man als Zivi ja einen schönen Lenz. Weil ich auch gerne gegen den Strom schwimme, beschließe ich, gegen den Strom zu schwimmen, der gegen den Strom schwimmt, und fasse einen Entschluss: Ich werde mich freiwillig melden. Wegen der vielen Zivis leidet die Bundeswehr an Personalmangel und sucht junge kräftige Burschen wie mich. Ich hätte was zu tun und nach dem Wehrdienst auch keine Probleme mehr, Arbeit zu finden.
    Rufe bei der Standortverwaltung der Bundeswehr an, um zu fragen, was ich tun muss, um mich freiwillig zu melden. Eine schnarrende Stimme meldet sich.
    »Standortverwaltung!«
    »Profitlich, mein Name. Ich wollte mal fragen, was ich tun muss, um ...
    »Personenkennziffer?«
    »Die hab ich ja noch nicht.«
    »Ohne Personenkennziffer kann ich Ihr Anliegen nicht bearbeiten.«
    Aufgelegt. Rufe erneut an.
    »Standortverwaltung!«
    »Profitlich mein Name, kann ich bei Ihnen eine Personenkennziffer bekommen?«
    »Nein, die steht auf dem Musterungsbescheid.«
    »Den hab ich aber noch nicht bekommen.«
    »Warum nicht?«
    »Das wollt ich Sie ja gerade fragen.«
    »Tut mir leid, ohne Personenkennziffer hab ich keinen Zugriff auf Ihre Akten.«
    Aufgelegt. Dritter Anruf.
    »Standortverwaltung!«
    »Profitlich mein Name. Meine Personenkennziffer ist 487 Querstrich AX Wurzel 2.«
    »Augenblick!«
    Hänge minutenlang in der Leitung. Glaube, den Grund für den Personalmangel bei der Bundeswehr zu erahnen. Was mach ich, wenn die mich nicht wollen? Gehe gedanklich Alternativen durch und suche im Telefonbuch gerade nach der Nummer der Fremdenlegion, als der freundliche Sachbearbeiter sich wieder meldet.
    »Sie haben offensichtlich eine falsche Personenkennziffer. Soll ich eine neue für Sie anlegen?«
    »Ja bitte. Krieg ich dann auch den Musterungsbescheid?«
    »Bei uns hat noch jeder den Musterungsbescheid erhalten, junger Mann!«
23. Oktober 1979
    Musterung. Hier wird man auf Herz und Nieren geprüft, ob man körperlich in der Verfassung ist, das Vaterland zu verteidigen.Stehe nackt vor einem Arzt, der mich ansieht und dann meint, dass ich kerngesund sei. Mache wahrheitsgetreu auf meine Plattfüße und mein Übergewicht aufmerksam. Ich hätte keine Plattfüße und auch kein Übergewicht. Wow! Ein Spitzenarzt! Keine zwei Minuten unter seinen Händen, und schon hat er mein Übergewicht und die Plattfüße weggezaubert. Gegen den ist Christiaan Barnard ein Kurpfuscher. Dann muss ich zum Sehtest. In drei Metern Entfernung hängt eine Tafel mit Buchstaben drauf an der Wand. Die Buchstaben in der obersten Reihe sind so groß, dass man sie als Lichtreklame für den Kaufhof benutzen könnte. Lese den ersten Buchstaben vor. Das reicht. Bestanden. Soldaten müssen wohl nicht so wahnsinnig gut sehen können. Ab zum Hörtest. Setze einen Kopfhörer auf. Ein Arzt fragt mich, ob ich den Ton höre. Der Ton ist so laut, dass ich mir den Kopfhörer runterreiße aus Angst zu ertauben. Bestanden. Soldaten müssen wohl auch nicht so gut hören können. Wahrscheinlich wegen des Gefechtslärms. Dann soll ich eine Urinprobe abgeben. Kriege einen Becher und gehe aufs Klo. Kann nicht. Massiere mir die Blase. Nichts. Drehe einen Wasserhahn auf, um meine Blase an den Zweck ihres Daseins zu erinnern. Nichts. In meiner Blase muss es gerade aussehen wie in der Sahelzone.

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