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Steife Prise

Steife Prise

Titel: Steife Prise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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heillos ineinander verkeilte Masse, und dahinter staut sich der Fluss immer höher und höher, bis er früher oder später den Widerstand dieses natürlichen Dammes überwältigt. Das Wasser und die Überreste des Dammes schießen daraufhin flussabwärts und reißen unterwegs gnadenlos alles mit, was nicht sofort versenkt wird, und zwar bis hinunter zum Meer. Deshalb wird der Fluss ›der Trügerische‹ genannt, Kommandeur.«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Mumm, »ich bin zwar nur ein einfacher Mann aus der Stadt, der von derlei Dingen nicht viel Ahnung hat, aber wenn ich es recht verstehe, dann ist eine Ansammlung von Unrat, die sich flussabwärts wälzt und unterwegs bis zum Meer alles mit sich reißt oder versenkt, eher als nicht sehr positiv zu bewerten?«
    Hinter ihnen ertönte das in die Länge gezogene Knarren, mit dem ein weiterer Baum von einem Blitz gespalten wurde. »Ganz recht. Allerdings habt ihr dabei das Wörtchen ›gnadenlos‹ ausgelassen«, antwortete Volker bedächtig. »Aber jetzt sollten wir wirklich versuchen, die Ditte so schnell wie möglich einzuholen.«
    »Da hast du wohl Recht, mein Junge, deshalb würde ich jetzt vorschlagen –«
    Was auch immer Stinky da machte und was auch immer Stinky überhaupt sein mochte – die Pferde waren bereits so verängstigt, dass sie jederzeit durchgehen konnten. In der Luft befand sich so viel Wasser und so wenig Licht, dass man den Unterschied zwischen Fluss und Ufer nur dann erkennen konnte, wenn man ausmachen konnte, wo man gerade hineinfiel.
    Inzwischen kam der Regen knüppeldick. Er wehte aus allen Richtungen heran, auch von unten, und die Sinfonie dunkler Zerstörung wurde von dem Geräusch unaufhaltsam in das aufgewühlte Wasser rutschender Böschungen untermalt. Die Pferde hetzten in schierer Panik dahin, Richtung spielte keine Rolle mehr, ebenso wenig wie Wärme, und die Welt bestand nur noch aus Dunkelheit, Wasser, kalter Verzweiflung und zwei roten Augen.
    Volker sah sie zuerst, dann witterte Mumm den Geruch. Es war der kräftige Geruch sehr verängstigter Ochsen, kräftig genug, um gegen das tosende Durcheinander anzustinken. Erstaunlicherweise wühlte sich das Schiff immer noch durch das Wasser voran, trotz der hinter ihm hertreibenden Flotille, die sich immer wieder ineinanderschob, verhedderte und dann wieder wie der Schwanz einer zornigen Katze über den Fluss zuckte.
    »Warum haben sie nicht irgendwo festgemacht?«, rief Volker durch das Unwetter. Es hörte sich verzweifelt an. Mumm stieg ab, packte Stinkys dürre Gestalt und klatschte seinem Pferd mit der flachen Hand auf den Rumpf. Auf sich allein gestellt hatte das Tier eindeutig bessere Chancen als mit ihm auf dem Rücken.
    Dann erblickte sein inneres Auge für ein paar Momente das Koomtal. Damals wäre er fast gestorben, an dem Tag, an dem das Wasser von den Talwänden herunterlief und durch die endlosen Kalksteinhöhlen donnerte, ihn gegen Wände drückte, auf Böden und an Höhlendecken schleuderte und schließlich auf einem winzigen Sandstrand in tiefster Dunkelheit liegen ließ. Die Dunkelheit war sein Freund gewesen, und Mumm war auf der Oberfläche der Dunkelheit dahingetrieben. Dort war die Erkenntnis in ihm gewachsen, und er hatte begriffen, dass Angst und Wut zu einem Schwert geschmiedet werden konnten, und der Wunsch, noch einmal einem Kind ein Buch vorlesen zu dürfen, ließ sich zu einem Schwert und einer Rüstung für einen zerlumpten Schiffbrüchigen dengeln, der bald danach Königen die Hand schüttelte.
    Was hätte ihn danach noch schrecken können? Was war so tollkühn daran, wer weiß wie viele Goblins und andere Leute in der donnernden, strudelnden Dunkelheit auf einem in der Strömung eines schwarzen und trügerischen Flusses treibenden Schiff zu retten?
    Schon rannte er am schlammigen Ufer entlang. Das Wasser lief ihm ins Genick. Aber Rennen reichte nicht aus. Man musste zuerst nachdenken. Also dachte Mumm daran, dass der Lotse auf dem Schiff den Fluss kannte, und das Schiff kannte er auch. Er hätte doch jederzeit irgendwo anlegen können! Aber das hatte er nicht getan, obwohl er eindeutig kein Idiot war. Denn obwohl Mumm den Fluss erst seit ein paar Stunden kannte, sah er sofort, dass ein Idiot nicht mehr als eine Handvoll Fahrten darauf überleben würde. Der Fluss war die reinste Idiotenfalle.
    Wenn man jedoch kein Idiot war, dann war es kein schlechter Beruf, als Lotse auf einem Ochsenschiff zu fahren: Man genoss hohes Ansehen, übte eine verantwortungsvolle

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