Steife Prise
nicht daran, langsamer zu reiten, bis sie sich seiner Meinung nach hoch genug auf der Uferböschung befanden, um für alles, was dort unten im Wasser lebte, absolut uninteressant zu sein. Dann wartete er, bis Volker ihn eingeholt hatte.
»Na schön, Hauptwachtmeister Aufstrich. Ich habe immer noch das Sagen, erkenne Ihre Ortskenntnis aber neidlos an. Zufrieden? Wo kommt das viele Wasser eigentlich her?«
Es stieg eindeutig: Als sie hier eingetroffen waren, hätte man ein Lineal gebraucht, um nachzuweisen, dass es sich wirklich bewegte, aber jetzt tanzten kleine Wellen heran, eine nach der anderen. Ein leichter Regen setzte ein.
»Das ist das Unwetter, das hinter uns herzieht«, antwortete Volker, »aber keine Sorge, das heißt bloß, dass die Ditte irgendwo festmacht, wenn es zu heftig wird. Dann können wir problemlos an Bord gehen.«
Der Regen wurde jetzt stärker, und Mumm sagte: »Was machen wir, wenn die Ditte einfach weiterfährt? Es kann ja nicht mehr lange dauern, bis die Sonne untergeht!«
»Das dürfte kein Problem sein, Kommandeur«, rief Volker mit aufreizender Unbesorgtheit. »Wir bleiben ihr auf der Spur. So hoch kommt kein Wasser. Abgesehen davon hat die Ditte immer Positionslichter an, und zwar rote, genau genommen Öllampen. Also keine Sorge«, schloss Volker. »Solange sie sich auf dem Fluss befindet, können wir ihr folgen. Darf ich fragen, was Ihr vorhabt, Kommandeur?«
Mumm war sich nicht sicher. Da das kein Vorgesetzter gerne zugibt, parierte er die Frage mit einer Gegenfrage: »Bei dir hört sich der Fluss wie das reinste Kinderspiel an, Volker! Aber was ist das dort drüben?« Er zeigte auf die andere Seite des Flusses, wo das Wasser wirbelnd und gurgelnd mit beängstigender Geschwindigkeit stieg.
»Ach«, antwortete Volker, »der Trügerische Alte führt immer irgendwelches Geraffel mit sich. Richtig gefährlich wird es nur bei einem Verdammbruch 27 . Das passiert aber nur sehr selten und nur dann, wenn alle Umstände passen, Herr Kommandeur. Außerdem könnt Ihr Euch darauf verlassen, dass der Käpt’n die Ditte in diesem Fall rechtzeitig außer Gefahr bringt. Bei schlechtem Wetter kann er den Fluss nachts ohnehin nicht befahren. Der Trügerische ist mit Baumstümpfen und Sandbänken nur so gespickt. Es wäre der reinste Selbstmord, sogar für einen so guten Lotsen wie Herrn Sillenbrock!«
Sie ritten schweigend weiter. Nur das grässliche Strudeln und Gurgeln der Strömung unterhalb der Uferböschung war zu hören. Der spärliche, schmutzig orange verfärbte Rest Tageslicht wurde von gelegentlichen grellen Lichtblitzen unterstützt, denen jeweils ein ohrenbetäubender Donner folgte. Im Wald am anderen Flussufer gingen Bäume in Flammen auf, und manche davon fackelten lichterloh ab, was, wie Mumm dachte, zumindest bei der Navigation eine kleine Hilfe sein dürfte. Der Regen drang erbarmungslos durch seine Kleidung. Mit einer Stimme, in der bereits die dumpfe Ahnung mitschwang, dass er die Antwort auf seine Frage nicht gerne hören wollte, rief er: »Nur mal so, um die Zeit ein wenig zu verkürzen, mein Junge: Kannst du mir genauer erklären, was ein Verdammbruch ist?«
Volkers Stimme wurde von einem Donnergrollen hinter ihnen verschluckt, aber beim zweiten Versuch brachte er eine Antwort zustande: »Also, so ein Verdammbruch ist ein recht selten auftretendes Phänomen, Herr Kommandeur. Er wird immer von einem Unwetter hervorgerufen, das im Flusstal feststeckt und bei dem sich der ganze in den Fluss gespülte Unrat auf eine bestimmte Art und Weise aufstaut …«
Stinky kam von irgendwoher – woher genau, wollte man lieber nicht wissen – auf den Kopf des Pferdes geklettert. Der Goblin schimmerte in einem fahlblauen Leichenlicht. Als Mumm den Finger ausstreckte, um ihn zu berühren, tanzte eine winzige blaue Flamme über seine Hand. Das kannte er. »St.-Ungulants-Feuer«, sagte er laut und wünschte sich, er könnte seine letzte Zigarre daran anzünden, selbst wenn es sich bei dem Feuer um die Ausdünstung der Leichen Ertrunkener handelte. Manchmal brauchte man einfach ein bisschen Tabak.
Volker starrte mit dermaßen entsetztem Gesicht auf das blaue Licht, dass Mumm sich kaum traute, ihn anzusprechen. Schließlich sagte er doch: »Und was passiert dann, mein Junge?«
Mit einem perfekten Sinn für dramatische Effekte erleuchtete ein Blitz in genau dem Moment Volkers Züge, als er zu Mumm aufblickte. »Also, Kommandeur, das ganze Geraffel staut sich immer weiter auf und bildet eine
Weitere Kostenlose Bücher