Steife Prise
Essen war keine besonders überkandidelte Veranstaltung. Sybil hatte die kleine Zusammenkunft rechtzeitig organisiert, bevor sie sich zu irgendetwas Aufwendigerem auswachsen konnte. Deshalb verabschiedeten sich einige Gäste auch schon sehr herzlich deutlich vor elf Uhr. Mumm lauschte aufmerksam, als der Oberst und seine Frau zu ihrer Kutsche gingen beziehungsweise – in seinem Falle – eher wankten. Aber mehr als ein gezischtes »Du hast den ganzen Abend die Stalltür aufgehabt!« vermochte er nicht aufzuschnappen.
Gefolgt von einem geknurrten: »Aber das Pferd hat den ganzen Abend über brav geschlafen, Liebste.«
1 Das Austauschprogramm mit der Gendarmerie in Quirm funktionierte sehr gut: Die Kollegen in Quirm wurden in die Polizeiarbeit à la Mumm eingewiesen, und im Gegenzug wurde das Kantinenessen am Pseudopolisplatz von Hauptmann Emile bis zur Unkenntlichkeit verbessert – obwohl der Hauptmann immer deutlich zu viel avec benutzte.
2 Hingegen konnte er sich von da an überglücklich schätzen, in so gut wie jeder häuslichen Entscheidung immerhin noch die zweite Geige spielen zu dürfen. Lady Sybil war der Ansicht, das Wort ihres Gatten sei ein ungeschriebenes Gesetz für die Stadtwache; was sie selbst betraf, kam es jedoch eher einem bescheidenen Vorschlag gleich, der gnädig in Betracht gezogen wurde.
3 Bis auf die Reihe künstlerisch gestalteter nackter Frauen auf dem Geländer, die Urnen in den Armen hielten. Urnen waren Kunst.
4 Es war ein wenig vertrackt, denn nach Mumms Ansicht waren alle Menschen gleich, wobei ein Feldwebel offensichtlich nicht so gleich war wie ein Hauptmann und ein Hauptmann nicht so gleich wie ein Kommandeur, und was Korporal Nobby Nobbs anging … Tja, also, Korporal Nobby Nobbs kam eigentlich niemand gleich.
5 Metall wäre unter diesen Umständen einfach nicht angebracht gewesen … und auch nicht sicher.
6 Ganz zu schweigen von Tafelwart Mumm, einer Persönlichkeit von Rang in der zwergischen Gesellschaft.
7 Willikins war ein hervorragender Butler und Leibdiener, wenn es die Situation verlangte. Allerdings war er in seiner langen Karriere auch ein begeisterter Straßenkämpfer gewesen, und als solcher wusste er sehr wohl, dass man niemandem den Rücken zuwandte, der eventuell eine Waffe bei sich hatte.
8 Später grübelte Mumm darüber nach, wie es wohl kam, dass Willikins unter den gegebenen Umständen den richtigen Plural kannte, aber bitte schön: Man musste sich nur lange genug in einem Haushalt mit vielen Büchern aufhalten, dann blieb das eine oder andere hängen – so wie bei Mumm selbst, wenn man es recht bedachte.
9 Schon mehr als einmal hatten Angehörige der Wache selbstverfasste Abschiedsbriefe vorgefunden, von denen sich nach genauerer Untersuchung herausstellte, dass sie in der falschen Handschrift verfasst waren.
10 Schweinskarree wurde um das Jahr des Wiesels von Hochwürden Josef »Kausalität« Robinson erfunden, dem Rektor von Alleheiligen und drei Sünder in der Kirchengemeinde Nieder-Überhang. Soweit sich aus den Aufzeichnungen seiner Zeitgenossen rekonstruieren lässt, muss es sich bei dem Spiel um eine wüste Mischung aus Mikado, Halma und Brandy gehandelt haben. Es existieren keine bekannten Regeln mehr – falls es überhaupt je welche gegeben hat.
11 Sybil hatte Mumm erklärt, dass man auf dem Land mit der Mode immer ein Jahrzehnt hinterherhinke. Deshalb die Tournüre und, für Sam, ein Paar Kniehosen – und zwar das altmodische Modell mit Klappen vorn und hinten und einem irgendwie unangenehmen Geruch.
12 Siehe Dr. Arnold Anschaff, Der Pastor kommt zum Abendessen und einhundertsiebenundzwanzig andere Warnungen vor gesellschaftlichen Fettnäpfchen (Verlag der Unsichtbaren Universität).
Nachdem sie der letzten Kutsche hinterhergewinkt hatten und die große Eingangstür ins Schloss fiel, sagte Sybil: »Also, Sam, ich verstehe dich ja, aber das waren unsere Gäste.«
»Ich weiß, und es tut mir leid, aber es kommt mir vor, als würden sie überhaupt nicht nachdenken. Ich wollte sie einfach nur ein bisschen aufrütteln.«
Lady Sybil hielt eine Sherryflasche gegen das Licht und füllte ihr Glas auf. »Du bist doch nicht ernsthaft der Ansicht, dass der Schmied ein Recht darauf hatte, mit dir um dieses Haus zu kämpfen?«
In diesem Moment hätte Sam sehr gerne getrunken. »Nein, natürlich nicht. Sonst würde man ja nie ein Ende finden. Die Menschen gewinnen und verlieren schon seit Jahrtausenden am alten Roulette-Rad des Lebens. Das
Weitere Kostenlose Bücher