Steife Prise
Inzwischen sah man nicht nur sofort daran, dass er es besetzte, dass er auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch saß (was allein schon ein mehr als deutlicher Hinweis gewesen wäre), sondern auch daran, dass der ganze Papierkram erledigt und säuberlich auf einem Stapel lag. Letzteres beeindruckte Inspektor A. E. Pessimal jedes Mal tief. Pessimal war ein kleiner Mann, der das Herz eines Löwen und die Körperkraft eines kleinen Kätzchens besaß, dazu ein Gesicht, ein Gemüt und ein allgemeines Auftreten, das sogar abgebrühte Buchhalter kopfschüttelnd sagen ließ: »Schau dir den mal an! Sieht der nicht wie ein typischer Buchhalter aus?«
Das alles störte das Löwenherz von A. E. Pessimal herzlich wenig. Er war die Geheimwaffe der Stadtwache. In der ganzen Stadt gab es keinen Buchhalter, der sich über einen Besuch von A. E. Pessimal gefreut hätte, es sei denn, er hätte ein reines Gewissen – aber das konnte man üblicherweise reinen Gewissens ausschließen, da Herrn und Frau Pessimals tüchtiger Junge einen Fehler durch das gesamte Hauptbuch bis hinunter in den Keller verfolgte, dorthin, wo die richtigen Bücher versteckt waren. Dabei verlangte Inspektor A. E. Pessimal für sein Genie nicht mehr als seinen korrekt berechneten Lohn und die Möglichkeit, ab und zu mit einem richtigen Polizisten auf Streife gehen, den Knüppel kreisen lassen und Trolle finster anblicken zu dürfen.
Karotte lehnte sich zurück. »Na, wie geht’s unserem Fred, Grinsi?«
»Also, ich kann da nicht viel sehen, ähm …«
»Das war ein dickes fettes Ähm, Grinsi.«
Das Problem bestand darin, dass Hauptmann Karotte ein freundliches, ehrliches und offenes Gesicht hatte, das einen dazu verleitete, ihm sofort alles gestehen zu wollen. Es war auch nicht sehr zuträglich, dass Feldwebel Kleinpo insgeheim ein wenig für den Hauptmann schwärmte, obwohl er gänzlich in festen Händen war; aber er war ebenfalls ein Zwerg, zumindest streng genommen, und für seine Träume konnte man schließlich nichts. »Na ja …«, fing sie widerwillig an.
Karotte beugte sich vor. »Ja, Grinsi?«
Sie gab auf. »Also, Hauptmann, es ist Unggue. Sie kommen doch vom Kupferkopf … Sind Sie dort oben vielen Goblins begegnet?«
»Nein, aber ich weiß, dass Unggue ihre Religion ist, falls man es so nennen kann.«
Grinsi Kleinpo schüttelte den Kopf, versuchte, nicht daran zu denken, welche Rolle ein angemessen hoher Stuhl bei einer Beziehung spielen mochte, und rief sich in Erinnerung, dass Feldwebel Goldhammer vom Wachhaus drüben in den Tollen Schwestern jedes Mal ihren Blick suchte, wenn sie ihn bei einer Begegnung auf Patrouille heimlich ansah. Der wäre wahrscheinlich sogar ein richtig guter Fang, wenn sie nur den Mut aufbringen würde, ihn zu fragen, ob er denn wirklich männlichen Geschlechts war. 19 »Unggue«, sagte sie, »ist keine Religion, sondern ein Aberglaube. Die Goblins glauben nicht an Tak 20 , das sind Wilde, Aasfresser, aber …« Sie zögerte wieder. »Mir hat mal jemand was erzählt, das ist unglaublich: Manchmal, wenn eine große Hungersnot herrscht, fressen die ihre Neugeborenen, zumindest frisst die Mutter ihr Kind auf, ihr neugeborenes Kind. Kann man so was glauben ?«
Karottes Unterkiefer klappte herunter, dann sagte eine leise Stimme: »Allerdings, Feldwebel, wenn ich mich kurz einmischen dürfte.«
A. E. Pessimal sah die beiden trotzig an und versuchte, sich ein bisschen aufrechter hinzustellen. »Es ist doch ganz logisch, verstehen Sie? Kein Essen? Aber die Mutter kann überleben, indem sie das Kind verspeist, wieder in sich aufnimmt. Das Kind müsste, wenn es sonst keine andere Nahrung mehr gibt, ohnehin sterben. Tatsächlich ist das Kind tot, sobald sich die Frage ernsthaft stellt. Die Mutter hingegen könnte durch ihr Handeln lange genug überleben, bis wieder mehr Nahrung zur Verfügung steht, und zu gegebener Zeit ein anderes Kind zur Welt bringen.«
»Sie wissen schon, dass Sie da eine sehr buchhalterische Sicht der Dinge zum Besten geben!«, sagte Grinsi.
A. E. Pessimal blieb ruhig. »Vielen Dank, Feldwebel Kleinpo, ich nehme es als Kompliment, denn die Logik ist makellos. So etwas nennt man die schreckliche Logik der Notwendigkeit. Ich bin sehr versiert, was die Logistik in lebensbedrohlichen Situationen angeht.«
Der Stuhl knarrte, als sich Hauptmann Karotte nach vorn beugte. »Nichts für ungut, Inspektor Pessimal, aber dürfte ich fragen, welchen lebensbedrohlichen Situationen Sie bei der Ausübung der doppelten
Weitere Kostenlose Bücher