Steilufer
zu seinem Kollegen, der nicht den Eindruck erweckte, als ob er über irgendetwas nachgrübelte. Den Zufall nahm Jansen manchmal ganz gerne zu Hilfe, wenn sie sich in ihren Ermittlungen fest gefahren hatten. Dass in beiden Fällen das Seil aus der Lübschen Seglervereinigung für die Fesseln verwendet worden war und auch das Schlauchboot von dort stammte – dafür hatte er bereits den Zufall verantwortlich machen wollen. Und nun fand Jansen die Erklärung völlig ausreichend, dass die Ähnlichkeit des Toten mit Lionels Vater und die Tatsache, dass der Tote gar nicht so weit entfernt von der ›Villa Floric‹ gefunden worden war, auch nur wahnwitzige Zufälle waren. Daran mochte Angermüller einfach nicht glauben, dass alle ihre Recherchen immer nur zu einer Häufung von Zufällen führen sollten.
Jetzt gab es wieder etwas, das Angermüller stutzig machte und das Jansen wahrscheinlich längst unter ›Z‹ ad acta gelegt haben würde. Sie näherten sich dem Herrentunnel, in dem die B75 die Trave kreuzte, große Schilder zeigten Lübeck-Siems an, die letztmögliche Ausfahrt vor dem Tunnel. Angermüller gab sich einen Ruck.
»Fährst du hier bitte raus!«
»Wat?«
»Bitte, nimm diese Ausfahrt!«
Heute gab es keine Schwierigkeiten, einen Parkplatz zu finden. Das regnerische Wetter verlockte niemanden, auf dem Jungfernstieg um den netten, kleinen Hafen zu promenieren. Die Pforte war zwar nicht abgeschlossen, aber auch das Gelände der Lübschen Seglervereinigung war menschenleer. Die Jachten dümpelten in ihren Liegeplätzen, da bei Flaute und Regen offensichtlich kaum jemand Lust verspürte, sich auf See zu begeben. Auf dem Weg zum Vereinshaus versuchte Jansen, seinem Kollegen endlich eine Erklärung für ihren Abstecher zu entlocken.
»Könntest du jetzt mal damit rausrücken, warum wir hier unseren heiligen Sonntag verdaddeln müssen?«
»Weil ich deine Zufallsthesen verifizieren will.«
»Nix verstehn.«
»Warts ab.«
Sie standen vor der offenen Tür des Hafenmeisterbüros. Angermüller klopfte gegen den Türrahmen.
»Guten Tag, Herr Sievers! Dürfen wir reinkommen?«
»Die Herren Kriminaler! Moin, moin! Haben Sie Ihren Mörder gefunden?«
»Wir sind dran, Herr Sievers, wir sind dran! Aber wir hätten da eine Frage: Kennen Sie eine Jacht die ›Ma reine‹ heißt und einem gewissen Herrn Tanguy gehört?«
»Ja.«
»Na, Sie sind flott!«
»Das hat seinen Grund. Es gab deswegen ’ne Menge Ärger letzte Woche. Der Burmester hatte jemandem einen Liegeplatz gegeben, ohne das vom Vorstand absegnen zu lassen, und jetzt ist das raus gekommen beziehungsweise hat ein Vereinsmitglied das den anderen vom Vorstand gesteckt und dann war die Kacke am Dampfen.«
»Macht der Herr Burmester so was öfter?«
»Der denkt manchmal wohl, der Verein gehört ihm und so benimmt er sich entsprechend. Wie ein kleiner König.« Sievers lächelte fein. »Na ja, das is man nich meine Sache. Ich friste hier mein Gnadenbrot und verdiene mir was zu meiner Rente zu – was die Herrschaften hier so treiben, das geht mich nichts an.«
»Wo liegt denn das Schiff?«
»Bis vor ein paar Tagen lags noch draußen an einer Boje. Jetzt hat der Franzose einen festen Liegeplatz am Steg bekommen, den letzten am mittleren Kopfsteg – ganz offiziell als Gastlieger. Der Burmester kriegt am Ende doch immer seinen Willen.«
Der alte Sievers schüttelte verständnislos seinen Kopf, bei ihm wäre der Burmester nicht so leicht damit durchgekommen, sollte das wohl heißen.
»Gut, Herr Sievers! Wir dürfen uns dann noch ein biss-chen draußen umschauen?«
»Selbstverständlich, Herr Kommissar! Aber der Franzose is vor 10 Minuten hier vom Hofe – hat der was ausgefressen?«
Angermüller grinste. Schon bei ihrer ersten Begegnung war ihm die neugierige Aufmerksamkeit des Hafenmeisters aufgefallen.
»Reine Routine, Herr Sievers, reine Routine!«
Sie verließen das Vereinshaus durch den Haupteingang, ließen die heute leere Terrasse rechts liegen und gingen direkt auf die Steganlage zu. Vom Himmel nieselte es feinste Tröpfchen.
»Du denkst also, da gibts eine Verbindung zwischen unserem Toten und der ›Villa Floric‹?«
Angermüller nickte voller Überzeugung.
»Und glaub ja nicht, ich lass mich von deiner Zufallstheorie gleich wieder aus der Bahn werfen!«
»Dann verrate doch mal deinem Kollegen, was du dir dabei denkst – wenn du dir überhaupt was denkst.«
»Ich geb zu: Viel Konkretes hab ich nicht vorzuweisen. Es ist mehr so ein
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