Steilufer
da!«
»Vielleicht hast du ja recht.« Anna reckte beide Arme und gähnte. »Puh! Heute war wirklich ein anstrengender Tag. Ich bin ganz schön geschafft und geh schlafen.«
»Ja, ruh dich aus, Anna. Du wirst deine Kräfte brauchen, denn das war heute nur der Anfang der goldenen Ära in der ›Villa Floric‹! Ich spüre das: Der Sommer kommt und er wird großartig, du wirst sehen!«
»Ich werde von jetzt an auch ganz fest daran glauben! Vielleicht hilft das ja. Gute Nacht, Yann!«
2
›La donna è mobile, qual piuma al vento.‹ Die Arie näherte sich ihrem Höhepunkt, noch einmal schwoll die Musik an. Der Mann, der voller Inbrunst mit dem Gemüsemesser auf die knackigen, roten Paprikaschoten hackte, stand dem die Unzuverlässigkeit des weiblichen Wesens beklagenden Tenor aus den Lautsprechern in nichts nach. Aus voller Kehle schmetterte er: ›E di pensier!‹ Das Messer verharrte dramatisch in der Luft und kehrte erst mit dem Schlussakkord wieder zu dem roten Gemüse auf dem Holzbrett zurück.
Auf dem Herd begann das Olivenöl in der großen Eisenpfanne zu brodeln und mit einem eleganten Schwung ließ Georg Angermüller die Paprikastreifen hineingleiten. Seine Stimmung hätte besser nicht sein können: Es war Sonnabendnachmittag, die Zwillinge, Julia und Judith, verbrachten das Wochenende mit ihrem Hockeyclub bei einem Turnier in Kiel, Astrid war zum Segeln und er durfte in aller Ruhe in der Küche werkeln. Sie hatten für den Abend ein paar Freunde eingeladen und aus dem geplanten kleinen Essen hatte sich während seiner Überlegungen dazu in Nullkommanix ein üppiger Reigen mediterraner Köstlichkeiten entwickelt.
Ein kurzes Prüfen mit der Gabel – das Gemüse hatte jetzt genau die richtige Konsistenz. Georg Angermüller beförderte die Paprika mit dem Schaumlöffel auf bereitgelegtes Küchenkrepp, wo auch die schon gegarten Auberginen- und Bleichselleriescheiben lagerten und gab nun die Zwiebelringe in das heiße Öl, auf dass sie sich golden färbten. Es folgten die geschälten, entkernten, zerkleinerten Tomaten, die Kapern sowie das gehackte Basilikum und sogleich erfüllte ein süßlich würziger Duft den Raum. Jetzt noch die eingeweichten Sultaninen dazu, die in Scheiben geschnittenen grünen Oliven, salzen und pfeffern, mit Balsamico und Zucker abschmecken und eine kleine Weile köcheln lassen.
Lange schon hatte Angermüller nicht mehr seiner Kochleidenschaft so ausgiebig frönen können. Ein überquellender Schreibtisch und unvorhergesehene Dienste, auch am Wochenende, hatten seine Freizeit immer knapper werden lassen und außer zu solchen Verpflichtungen wie Besuchen bei seinen Schwiegereltern oder Veranstaltungen in der Waldorfschule der Mädchen hatte es nicht gereicht. Und dabei musste er sich sowohl von seiner Schwiegermutter wie von der Lehrerin seiner Töchter anhören, wie kostbar und selten doch seine Besuche seien.
In den letzten Wochen schien auch Astrids Reservoir an Verständnis für die Unwägbarkeiten seines Berufes manchmal erschöpft und er spürte, wie sie mit einer Mischung aus Ärger und Resignation reagierte, wenn er wieder einmal seine Versprechungen, statt ihrer zum Elternabend zu gehen, etwas mit den Mädchen zu unternehmen oder kleine Erledigungen für den Haushalt zu übernehmen, nicht einhalten konnte. Schließlich war auch Astrid als Sozialpädagogin mit ihrer Tätigkeit in einem gemeinnützigen Hilfsprojekt für Asylbewerber mehr als ausgelastet und musste dazu noch die Kindererziehung, den Haushalt, ja den ganzen restlichen Lebenshintergrund der Familie stemmen. Wieder einmal nahm er sich vor, alles zu ändern, und wusste gleichzeitig, dass es nicht in seiner Macht lag, die Bedingungen seines Berufes zu ändern.
Wenn er auch bedauerte, dass Astrid jetzt nicht hier war, so freute er sich doch für sie, dass sie wieder einmal die Gelegenheit hatte, ihrem geliebten Segelsport zu frönen. Auf diesem Gebiet konnte er seiner Frau leider kein guter Partner sein. Angermüller brauchte nur die Boote im Hafen auf dem Wasser schaukeln zu sehen, das Schlagen der Fallen zu hören und den Teer zu riechen und schon wurde ihm flau im Magen. An den einzigen Törn, zu dem ihn Astrid in ihrem kleinen Piraten überreden konnte, erinnerte er sich immer noch mit Grausen. Damals waren sie frisch verliebt und er wollte sich keine Blöße geben. Aber sobald er seinen Fuß auf schwankende Planken setzte, hatte ihn die Seekrankheit fest im Griff. In der Umgebung des oberfränkischen
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