Steilufer
beschäftigen, Anna. Sie erlauben die Frage: Gibt es hier an der Küste nicht eine Menge deutsche Arbeitslose?«
Hinter der zur Schau gestellten jovialen Behäbigkeit verspürte Anna durchaus etwas Lauerndes in den Blicken der Herrenrunde. Natürlich hätte sie vieles auf diese Frage referieren können über Kosten und Lohnforderungen, über Arbeitsunwillige, die das Arbeitsamt geschickt hatte, über die Chemie, die stimmen musste zwischen den Mitarbeitern, über die Pflicht, Menschen in Not zu helfen und vieles mehr. Sie schaffte es endlich, Dr. Burmester ihre Hand zu entwinden und sagte nur freundlich:
»Es ist schwierig, die richtigen Leute zu finden, aber ich denke, ich habe mittlerweile ein ganz gutes Team zusammen. Sie sind doch zufrieden, Messieurs?«
Heftiges, zustimmendes Nicken sämtlicher Herren. Anna war nicht in die Falle gegangen. Sie winkte Djaffar heran und fragte in die Runde:
»Darf ich Sie noch zu einem Digestif einladen?«
Natürlich rief auch diese Frage einvernehmliches Nicken hervor und als Djaffar das Tablett mit den Gläsern voll braungoldenem Goutte servierte, einem bretonischen Cidrebrand, hob Anna ihr Glas mit einem Santé, nahm einen kleinen Schluck und verabschiedete sich dann schnell.
Kurz darauf stand sie am Rand der Terrasse, schaute auf die unter einem sternenlosen Himmel schwarz daliegende Ostsee und atmete tief die frische, kühle Nachtluft. Nur ganz vereinzelt bewegten sich ein paar Lichter auf dem Meer, dort eine Fähre, vielleicht auf dem Weg nach Skandinavien, hier ein paar kleine Fischerboote und in der Ferne zu ihrer Linken blinkte ruhig und gleichmäßig der Leuchtturm von Pelzerhaken. Anna seufzte. Immerhin, es war ein erfolgreicher Abend gewesen, aber sie würden noch viele derartige Abende brauchen, um ihre finanzielle Krise zu überwinden. Manchmal verließ sie die Zuversicht und das Gefühl der Verlassenheit wurde so stark, dass sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Gestern in Lübeck, in der belebten Fußgängerzone vor dem Rathaus, hatte sie einen Moment lang geglaubt, in der Menge eine wohlbekannte Gestalt entdeckt zu haben, die aber gleich darauf wieder verschwunden war. Sie sah wohl schon Gespenster.
»Ach, Said! Ich fühl mich so allein. Warum bist du nicht da?«, flüsterte sie in die Dunkelheit. Sie hörte ein Geräusch und drehte sich schnell um.
»Nicht erschrecken, ich bins.«
Yann trat neben sie und Anna hoffte im Stillen, er mochte ihr leises Flehen nicht gehört haben. Er rieb sich freudig die Hände.
»Formidable, n’est-ce pas? Siehst du, ich habe immer recht, cheffesse! Ab jetzt gehts aufwärts! Ein fantastischer Umsatz heute!«
»Ach, Yann! Was würde ich bloß ohne deinen unerschütterlichen Optimismus machen?«
»Schön, zu wissen, dass ich hier doch irgendwie gebraucht werde!«, sagte Yann gut gelaunt, aber mit unüberhörbarer Selbstironie und legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Jetzt tu nicht so, als ob du nicht wüsstest, wie wichtig du hier bist!«, protestierte Anna und knuffte ihn sanft in die Seite. Und wie schon öfter in den letzten Wochen spürte sie bei diesem freundschaftlichen Geplänkel eine gewisse Befangenheit. Seine Nähe machte sie auf eine ganz eigene Art nervös und sie fühlte sich so unsicher wie ein Teenager beim ersten Rendezvous. Täuschte sie sich oder hatte sich auch sein Verhalten ihr gegenüber geändert? Am besten, sie dachte gar nicht darüber nach. Ihre Wunden waren noch lange nicht verheilt und sie wollte sich neben all den anderen Sorgen nicht auch noch mit ihrem Gefühlschaos auseinandersetzen müssen. Ihr Leben war in Ordnung, wie es war. Es gab keine Notwendigkeit, etwas zu verändern. Um diese Gedanken zu verscheuchen, schnitt Anna ein Thema an, das sie schon den ganzen Abend beschäftigt hatte:
»Yann, ich fange langsam an mir Sorgen zu machen. Wegen Fouhad«, sagte sie in ernstem Tonfall. »Er ist bis jetzt nicht aufgetaucht und dabei ist er doch so ein zuverlässiger Kerl.«
Yann zog seinen Arm zurück und sah sie an.
»Aber Anna, das kann mal passieren. C’est l’amour, tout simplement! Unseren lieben Fouhad hats erwischt. Trotzdem werde ich morgen ein ernstes Wörtchen mit ihm reden müssen.«
»Ich weiß nicht. Es passt so gar nicht zu ihm: Du weißt, wie wichtig ihm sein Posten in der Küche ist. Mich beunruhigt das irgendwie.«
»Also, wenn Fouhad morgen wirklich nicht wieder auftaucht, sollten wir etwas unternehmen. Aber ich bin mir sicher, er ist morgen wieder
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