Steilufer
Abständen Signale eingehender Nachrichten gesendet, was nur heißen konnte, dass eine seiner zahlreichen Freundinnen bereits voller Ungeduld auf ihn wartete.
Angermüller öffnete die Gartenpforte. Die Aussicht auf einen Abend voller kulinarischer Genüsse unter Freunden stimmte ihn milde und er vergab die ewigen Sticheleien seiner Schwiegermutter. Auch die Gedanken an den Toten vom Steilufer versuchte er, in die hinterste Ecke seines Bewusstseins zu verbannen. Jetzt wollte er nur noch genießen.
Im Flur umhüllte ihn sofort eine Duftwolke aus Olivenöl, Knoblauch und Gebratenem, die seinen Magen sich zusammenziehen ließ. Erst jetzt spürte er, wie hungrig er war, hatte er doch seit dem Frühstück und einigen wenigen Probierhappen während des Kochens nichts mehr gegessen. Gläserklingen, Geschirrklappern und fröhliches Stimmengewirr hinter der Tür zur Küche zeigten ihm, dass seine Gäste kein Problem gehabt hatten, ohne ihn anzufangen. Das hatte er auch so gewollt und Hedi und John, die nebenan wohnenden Freunde, die immer einen Schlüssel für das Angermüllersche Haus hatten, gebeten, in seinem Namen die Gäste zu empfangen und zu bewirten, falls er es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde. Er wusste, dass die beiden dazu nur allzu gerne bereit waren. Hedi und John, ein kinderloses Lehrerpaar, stets sonnengebräunt und gut gelaunt, seit Kurzem frühpensioniert, waren immer auf der Suche nach Aufgaben, wenn sie nicht gerade mit ihrem Segelboot irgendwo in den schwedischen Schären kreuzten oder die dänische Inselwelt erkundeten. Neben ihrer außergewöhnlichen nachbarlichen Hilfsbereitschaft kennzeichnete sie ein leidenschaftliches Interesse am Kochen und Essen, was natürlich sofort eine gute Basis für den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen geliefert hatte.
Niemand nahm Notiz, als Angermüller seine Küche betrat. Hedi und John saßen mit dem Rücken zur Tür, Carola und Margret waren in ihre Teller vertieft und Lars studierte durch die vorgehaltene Lesebrille das Etikett einer bereits geleerten Weinflasche. Ein großer, blonder Mann, der auf Angermüllers angestammten Stuhl saß, wie er sofort registrierte, war dabei, mit ausladender Geste eine neue Flasche Rotwein zu entkorken. Und Astrid, die daneben saß, wurde gerade von einem ihrer seltenen, dafür umso heftigeren Lachanfälle geschüttelt.
»Guten Abend miteinander! Ihr seid ja schon gut in Stimmung!«, grüßte Angermüller in den Raum und erntete eine vielstimmige, fröhliche Antwort.
»Da ist ja unser Gastgeber endlich!«, rief Hedi und sprang von ihrem Stuhl hoch, erstaunlich behände für ihre massige Figur, und umarmte ihn herzlich. Sie und John übertrafen Georg Angermüllers bereits ansehnliche Körperfülle noch um ein Vielfaches.
»Wie du siehst, haben wir uns doch für den Tisch hier in der Küche entschieden«, erklärte Hedi, während sie für ihn eine Sitzgelegenheit heranschaffte.
»Hier ist es irgendwie gemütlicher, alle haben Platz und solange es nicht kühler wird, können wir die Tür zum Garten offen lassen und uns wenigstens vorstellen, es wäre ein Sommerabend!«
Die geräumige Küche ging in eine Art Wintergarten über, wo ein stabiler Holztisch stand, an dem bis zu 10 Personen problemlos Platz finden konnten.
»Darf ich ein Glas Rotwein anbieten?«, richtete sich der Blonde, der seinen Stammplatz okkupierte, an Angermüller und erhob sich.
»Morellino di Scansano – Vino Toscano,Vendemmia Neunzehn undert akt unde neunzig«,
las er mit einem Akzent, der wohl italienisch klingen sollte, und löste damit bei Astrid einen erneuten Heiterkeitsanfall aus.
»Vielleicht sollten wir uns noch bekannt machen, bevor Sie mich bewirten: Georg Angermüller, Astrids Mann.«
Über den Tisch hinweg sah ihn der andere milde lächelnd an.
»Das habe ich mir fast gedacht, Herr Kommissar.«
Astrid gluckste vor Vergnügen – sie schien wirklich schon reichlich von dem roten Wein genossen zu haben.
»Ich bin Martin Aalsen, der Neue in Astrids Verein. Schön, Sie kennenzulernen.«
Angermüller umrundete den Tisch und sie gaben sich die Hand. Martins Händedruck war fest und zupackend.
»Hallo, Schatz!«, begrüßte er dann seine Frau mit einem Wangenkuss. »Schön, dass du wohlbehalten wieder an Land gekommen bist!«
»Du bist und bleibst eine unverbesserliche Landratte!«, meinte Astrid und lächelte belustigt.
»Aber sagt mal: Wollt ihr euch nicht duzen? Wir duzen uns doch hier alle in der Runde und da sollte Martin keine
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