Steilufer
Ausnahme sein. Wir müssen doch nicht die s-teifen Hanseaten spielen!«
Angermüller wunderte sich, wo das sonst so zurückhaltende Wesen seiner Frau geblieben war. Er kannte diesen Martin noch gar nicht und schon sollte er ihn zu seinem engeren Freundeskreis zählen.
Als alle Gläser gefüllt waren, stieß man miteinander an und besiegelte damit das allgemeine ›Du‹. Georg Angermüller ließ langsam und genießerisch den ersten Schluck Wein durch seine Kehle rinnen. Während um ihn herum geplaudert und gelacht wurde, arbeitete er sich mit stiller Andacht durch die üppige Palette mediterraner Spezialitäten und fühlte, wie ihn jeder Bissen ein wenig mehr mit der Welt versöhnte. Selbst die Tatsache, dass dieser Martin, aus einem schier unendlichen Fundus schöpfend, eine Segleranekdote nach der anderen zum Besten gab, konnte sein wachsendes Wohlgefühl nicht trüben. Während er versonnen die mit Gorgonzola gefüllten, von aromatischem Parmaschinken umhüllten Datteln genoss, nachschmeckte, sich ein Stück knuspriges Weißbrot abbrach und mit einem kräftigen Schluck Rotwein nachspülte, wanderten seine Gedanken in das kleine Ristorante an der Straße im Val di Cecina. In dessen schattigem Garten hatten sie im letzten August ausgiebig geschlemmt. Eigentlich sollte es nur ein bescheidener Imbiss werden, doch als der kleine, rundliche Wirt mit leuchtenden Augen seine Spezialitäten aufzählte, konnte Angermüller nicht widerstehen und bestellte hiervon ein bisschen und davon ein bisschen und schließlich saßen sie mehr als drei Stunden, von denen Angermüller keine Minute bereute, denn es war einfach köstlich! Besonders die sämig-sahnige Steinpilzsauce auf den hausgemachten Nudeln war von einem überwältigenden Aroma. Mit gedankenverlorener Hingabe säuberte Angermüller seinen Teller mit einem Stück Brot von den letzten Tropfen Öl.
Apropos Nudeln.
Er erhob sich und machte sich am Herd zu schaffen und als die Knoblauchzehe, die in einer Mischung aus Butter und Olivenöl im Topf schmorte, eine braungoldene Farbe angenommen hatte, nahm er sie mit einer Gabel heraus. Nur ein leichter Hauch ihres Aromas blieb zurück. Bald duftete es im Raum wunderbar nach Steinpilzen. Er goss großzügig mit Sahne auf und stellte die Flamme klein, damit das Ganze langsam köcheln und sich zu einer harmonischen Einheit verbinden konnte. Im großen Edelstahltopf näherte sich das Wasser seinem Siedepunkt, Angermüller streute eine Hand voll Salz hinein, stellte das Brett mit den hausgemachten Tagliatelle bereit und pfiff leise eine Melodie – Kochen hatte schon etwas mit Glückseligkeit zu tun.
»Also, für diese Pasta würde ich dir glatt drei goldene Kochlöffel verleihen!«, unterbrach Carolas sonore Stimme wenig später die genießerische Stille am Tisch. Angermüller kochte nicht für Komplimente, aber er wusste wohl, wie streng Carola mit ihren Urteilen war. Sie selbst brachte zwar höchstens einen ordentlichen Kaffee zustande, was sie während ihrer Jahre in der Stadtverwaltung gelernt hatte. Außerdem fand sie, der Dreck und die Arbeit in der eigenen Küche lohnten sich nicht, schon gar nicht für sie als Single. Aber sie fühlte sich berufen, in ihrer Freizeit hin und wieder Restaurantkritiken für hiesige Zeitungen zu verfassen und dabei goldene, silberne, bronzene oder auch rostige Kochlöffel als Noten zu verteilen und die Leserschaft schien sich ihren Einschätzungen tatsächlich anzuschließen. Mittlerweile war sie dafür stadtbekannt und wenn sie in einem Lokal auftauchte, nicht zu übersehen mit ihrer stattlichen Figur und den extravaganten, meist schwarzen Kleidern, behängt mit ausgefallenen, großen Ketten, packte die Damen und Herren in der Küche ängstliche Nervosität.
»Was sind wir heute gnädig, meine Liebe! Dank deines kenntnisreichen Urteils weiß ich jetzt erst richtig einzuschätzen, was mein Freund uns hier Delikates serviert.«
Steffen, in einem grob gestrickten Baumwollpulli, der mit seinem Naturton perfekt zu der lässigen Leinenhose passte, hatte sich mittlerweile der Tafelrunde zugesellt und zeigte einmal mehr, dass Carola einer der ganz wenigen Menschen war, bei dem ihm seine sonst sprichwörtliche, vornehme Gelassenheit abhanden kam. Georg gegenüber nannte er sie nur das große, aufgeblasene Nichts. Begegnungen zwischen den beiden ließen sich nicht vermeiden, da er Georgs bester Freund und Carola seit Kindertragen Astrids enge Freundin war und so kam es immer mal wieder zu
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