Steilufer
träum was Schönes!«
Es war mittlerweile halb zwei und Georg Angermüller stand immer noch in der Küche und entsorgte die Reste des genussreichen Abends. Er naschte hie und da noch ein wenig und beseitigte gewissenhaft auch die letzten Spuren an Löffeln und Schüsseln. Da er immer nach der Devise ›Besser zu viel als zu wenig‹ für seine Gäste sorgte, war der Kühlschrank bald gut gefüllt mit Schüsselchen und Tellerchen voller mehr oder weniger großer Portionen übrig gebliebener mediterraner Spezialitäten. Und er war nicht böse darüber, sich dieser verbliebenen Köstlichkeiten demnächst noch einmal annehmen zu dürfen.
Als er dann endlich auch ins Schlafzimmer schlich, lag Astrid in friedlichem Schlummer. Er musste an ihren Satz denken, er habe wie immer was Besseres zu tun und schüttelte mit einem traurigen Lächeln seinen Kopf.
»Was Besseres! Den Mörder von einem armen Teufel ohne Gesicht finden. Ich kann mir nix Schöneres denken an einem Sonntag«, brummte Georg Angermüller leise und machte das Licht aus.
3
Der Wind war heftig und empfindlich kalt. Am Himmel zogen Wolkenberge von hellgrau bis blaulila vorüber. Irgendwo dahinter war die Sonne zu vermuten, nur zeigen wollte sie sich nicht. Wenigstens war es trocken und alle Urlauber schienen auf die Idee gekommen zu sein, das sehr durchwachsene Wetter an diesem Sonntag für einen Spaziergang um den hübschen, kleinen Hafen zu nutzen, der sich wie ein Fjord lang und schmal ins Land hineinzog. Hier gab es schicke Hochseejachten zu bestaunen und PS-starke Motorboote, sogar echte Ostseekutter, die aber schon lange nicht mehr zum Fischfang auf See fuhren, da die Schleppnetzfischerei ihre Besatzungen nicht mehr ernähren konnte. An der Promenade stand Imbissbude neben Imbissbude und man hielt das hier übliche bunte Angebot für Touristen bereit: Von Pizza, Döner, Hamburgern und allerlei anderen Fastfoodvarianten über Fischbrötchen bis hin zu Crêpes und Eis reichte die Palette und selbstverständlich gab es auch eine große Auswahl an alkoholischen Getränken.
Braungebrannte Hamburger Pensionäre und ihre Damen, alle in ähnliche Freizeitjacken teurer Markenfabrikate gekleidet, orderten lautstark ihre ›Caipis‹ – Caipirinha war, dem Angebot nach zu urteilen, das Modegetränk dieses Ostseesommers. Bunte Jogginganzüge, Kinder und Hunde waren meist die Kennzeichen der Familien, die ihren Urlaub im Wohnwagen auf einem der vielen Campingplätze am Strand verbrachten, bei schlechtem Wetter ihren engen Behausungen entflohen und die sich nun mit den vielen anderen auf der Promenade drängten.
Nirgendwo war ein Parkplatz zu bekommen. Selbst in dem für den öffentlichen Verkehr gesperrten Strandweg standen die Autos dicht an dicht. Schließlich lenkte Jansen den Dienstwagen direkt vor die Ausfahrt der ›Lübschen Seglervereinigung 1910 e. V.‹ und stellte den Motor ab.
»Die können sich ja melden, wenn wir stören«, knurrte er, an Angermüller gerichtet. Das Metalltor mit dem Hinweisschild ›Zutritt nur für Mitglieder‹ fiel laut hinter ihnen ins Schloss und sofort hatten sie die lebhafte, laute, nach Frittierfett stinkende Urlauberwelt hinter sich gelassen. Schon in drei Segelvereinen hatten die beiden Beamten nach der Herkunft des Schlauchbootes geforscht, in dem der Tote am Steilufer angetrieben worden war. Dieser hier war der bei weitem beeindruckendste Verein, was Lage, Grundstück und Ausstattung betraf. Gepflegter Rasen, aufwendige Blumenrabatten und eine geräumige, weiße Villa in der typischen Bäderarchitektur der Jahrhundertwende als Clubhaus.
»Guten Tag! Können wir behilflich sein, die Herren?«
Der scharfe Unterton dieses höflichen Angebots war nicht zu überhören. Eine weißhaarige, ältere Dame, bekleidet mit einem dezent blauweiß geringelten Shirt unter einer marineblauen Weste, mit einer Bermuda in derselben Farbe und mit den typischen, mokassinartigen Bootsschuhen an den Füßen, löste sich aus einer Gruppe von Frauen, alle mehr oder weniger ähnlich angezogen, die im Gespräch beieinander standen. Sie trat den beiden Kommissaren in den Weg und warf ihnen aus ihren hellen Augen, die im scharfen Kontrast zu ihrem dunklen, wettergegerbten Teint standen, einen prüfenden Blick zu. Angermüller, mit seiner olivbraunen Wildlederjacke und den Cordhosen, und Jansen, mit schwarzer Lederjacke und Jeans bekleidet, wirkten in diesem maritimen Ambiente, in dem nur die Farben Blau und Weiß zu existieren
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