Steilufer
Mandanten, dafür Politik. Steht irgend so einer Bürgervereinigung vor.«
Angermüller nickte langsam.
»Ja, wo du das jetzt sagst. Ich habe doch schon von dem gehört. Alteingesessener Lübecker Stadtadel, oder?«
»Ja, genau. Und ein absolut unangenehmer Klugschnacker! Hier sind wir richtig.«
Jansen zeigte nach links und klopfte an die offen stehende Tür. Von den Wänden in dem kleinen Raum war nichts mehr zu sehen, überall hingen Listen und Seekarten, ein schwarzes Brett, ein Schlüsselbrett und an die freien Stellen dazwischen hatte jemand Ansichtskarten aus allen Ecken der Welt gepinnt. Hinter einem kleinen Schreibtisch voller Papier saß ein weißhaariger Mann in einem dunkelblauen Wollpullover und schaute zu ihnen hoch.
»Moin! Was gibts?«
»Moin! Kripo Lübeck – das ist mein Kollege Angermüller, mein Name ist Jansen.«
Sie zeigten ihre Ausweise.
»Sie sind hier der Hafenmeister?«
Er stand von seinem Stuhl auf und gab den beiden mit festem Druck die Hand.
»Richtig. Henry Sievers.«
Henry Sievers hatte eine kräftige, tiefe Stimme und rollte das R, wie es im Lübschen Dialekt üblich war.
»Wir hätten da ein paar Fragen zu den Schiffen, die hier im Verein liegen.«
»Da sind Sie hier goldrichtig. Schießen Sie los.«
»Liegt hier im Hafen eine Jacht namens ›Mary‹?«, fragte Jansen.
»Nee. – Da brauch ich gar nich nachzusehen. Ne ›Mary‹ ham wir nich.«
Angermüller zog das Foto des Schlauchbootes aus einer Jackentasche und hielt es dem Hafenmeister hin.
»Und kennen Sie vielleicht dieses Schlauchboot?«
»Ja. ›Tender to Mary‹. Ist Vereinseigentum. Wurde mal als Trainerboot für die Jugendgruppe genutzt. Das liegt bei uns im Bootsschuppen – normalerweise.«
Angermüller und Jansen sahen sich hocherfreut an.
»Dann gehen wir doch mal nachschauen!«, sagte Angermüller aufgeräumt. Der Hafenmeister nickte und setzte die weiße Schirmmütze auf, die auf seinem Schreibtisch gelegen hatte. Sie verließen das Clubhaus durch einen kleinen Seiteneingang und gelangten auf einen freien, nicht befestigten Platz neben der Villa. Mehrere Trailer standen hier, ineinander geschoben, es lagerten Jollen kieloben auf dafür gebauten Gestellen, Bretter und ein paar offensichtlich reparaturbedürftige Boote lagen herum, verschmutzte Putzlumpen, leere Bierflaschen und diverse bekleckerte Farbdosen. Ein aus Holz gebautes Gebäude mit einem hohen Spitzdach stand im Hintergrund.
»Tscha. Das sah auch schon mal besser aus hier, aber da hatten wir auch noch eine funktionierende Jugendabteilung und die waren für das Gelände verantwortlich.«
»Und warum ist das nicht mehr so?«, fragte Angermüller. Sievers zuckte mit den Schultern.
»Kein Nachwuchs. Seit zwei Jahren keiner mehr, der sich im Verein um die Jugendarbeit kümmert. So ist das. Aber ich bin hier nur angestellt, das müssen die Mitglieder selbst wissen.«
Er steckte einen Schlüssel aus seinem dicken Bund in das Schloss der Tür des Bootsschuppens und brummte ärgerlich:
»Wieder nich abgeschlossen! Und wenn dann was fehlt, ist das Gemecker groß! – So, da wären wir. Das Licht ist kaputt, muss ich mich mal um kümmern. Eigentlich soll die Tür immer abgeschlossen sein. Viel gearbeitet wird hier nur beim Auf- und Abslippen der Boote im Frühjahr und im Herbst. Im Winter lagern wir hier die Masten. Das Schlauchboot, nach dem Sie gefragt haben, liegt auf einem Trailer, gleich links in der Ecke. Wie ich schon sagte: normalerweise.«
Sievers sah sich suchend im Halbdunkel um. Nur durch je ein kleines Fenster rechts und links fiel schwaches Licht in den Raum, der unübersichtlich mit alten Schränken voller Werkzeug und Schiffsbaumaterialien gefüllt war. Es gab eine Werkbank und von einem Gestell, das in dem freien Dachraum angebracht war, baumelten Drähte über ihren Köpfen, die sich als die Wanten eines einzelnen Mastes entpuppten, der dort oben lagerte. Es roch nach feuchtem Tauwerk und Holzschutzfarbe.
»Tscha. Da steht nur der leere Trailer. Aber Sie wissen ja wohl besser, wo der ›Tender to Mary‹ abgeblieben ist?«, wandte sich Sievers an die Beamten und konnte eine gewisse Neugier nicht verbergen. Jansen ging auf die Frage nicht ein.
»Kann denn eine Person allein so ein Schlauchboot zum Wasser schaffen?«
»Kein Problem. Wenn man es zum Beispiel auf so einen Slipwagen packt.«
Der Hafenmeister zeigte zu dem Jollenlagerplatz im Freien, wo eine Art Wagen lehnte, der nur aus ein paar Metallrohren bestand,
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