Steilufer
Organisation des Alltags redeten, wenn sie sich sahen. Wirkliche Mußestunden zu zweit waren so selten wie Perlen in einer Auster. Viel zu sehr drängten sich die Schattenseiten dieser Welt in sein Leben, mit denen sein Beruf ihn ständig zusammenbrachte, und oft genug verfolgten ihn seine Fälle bis in den Schlaf. Aber er würde Astrid nach der ›Villa Floric‹ und ihren algerischen Bewohnern fragen, wer weiß, vielleicht konnte es von Nutzen sein.
»Na gut, dann wollen wir mal mit den Mitbewohnern von Herrn Ferhati sprechen.«
Sie betraten die geräumige Küche. An einem großen, runden Holztisch saß ein gepflegter Mann um die 30 in einem hellblauen Polohemd, in der Hand ein Glas Tee. Hinter ihm stand ein schmaler, jüngerer Mann in Jeans und Sweatshirt und machte sich mit einem Topf am Herd zu schaffen. Als Anna Floric die beiden auf Französisch ansprach, verstand Georg Angermüller zwar nicht jedes Wort – zu lange schon hatte er die Sprache nicht mehr gesprochen – aber er erfasste den Inhalt und hörte sehr wohl, dass sie ihn und seinen Kollegen als ›Flics‹ vorstellte, was ein nicht unbedingt nettes französisches Wort für Polizisten war.
»Können Sie für uns dolmetschen?«, fragte er sie.
»Das ist nicht nötig, ich spreche Deutsch. Was wollen Sie über Fouhad wissen?« Der am Tisch sitzende Mann hatte sich erhoben, er stellte sich als Djaffar Lahlou, Chefkellner in der ›Villa Floric‹, vor.
»Spricht der andere junge Mann auch Deutsch?«
»Nur ein bisschen. Mein Name ist Hadi Khaled«, mischte sich der Junge vom Herd mit einem schüchternen Lächeln ein.
»Dann sagen Sie mir doch bitte, wann und wo haben Sie denn Ihren Kollegen das letzte Mal gesehen?«
»Das war Mittwochnacht, nach der Arbeit. Wir haben in der Küche gesessen und geredet. Fouhad, Hadi und ich. Omar war in seinem Zimmer.«
»Omar?«
Angermüller blickte fragend zu Anna Floric.
»Ja, Omar Chabi – er ist noch nicht lange hier und sondert sich so ein bisschen ab. Er ist jetzt auch in seinem Zimmer. Soll ich ihn holen?«
»Lassen Sie nur, Frau Floric – wir gehen anschließend zu ihm. Wie lange haben Sie denn noch hier zusammengesessen?«, wandte sich der Kommissar wieder an Djaffar.
»Vielleicht bis Mitternacht. So genau weiß ich das nicht mehr.«
Der Chefkellner tauschte sich kurz auf Arabisch mit Hadi aus.
»Es war kurz vor Mitternacht, da hat sich Fouhad entschlossen, doch noch nach Travemünde zu fahren. Wir sind auf unsere Zimmer gegangen, ich habe noch ein wenig gelesen und habe dann gehört, wie Fouhad mit dem Roller losgefahren ist. Hadi hat das auch so im Kopf.«
»Was wollte Herr Ferhati so spät noch in Travemünde?«
»Er kennt dort ein Mädchen. Sie hatten wohl einen kleinen Streit gehabt; er wollte sie ein bisschen ärgern, meldete sich zuerst nicht bei ihr. Aber dann war sein Ärger rasch verflogen, weshalb er sie mit seinem Besuch überraschen wollte«, schloss Djaffar.
Ein verlegenes Grinsen hatte sich auf Hadis Gesicht ausgebreitet, als von Fouhads Freundin die Rede war und er sagte leise: »Fouhad viel verliebt.«
Angermüller musste lächeln.
»Hatte Ihr Kollege irgendwelche Probleme oder gab es Leute, mit denen er Probleme hatte, die ihn bedrohten?«
Die beiden dachten kurz nach, wechselten ein paar Worte in ihrer Heimatsprache und schüttelten dann entschieden den Kopf.
»Können Sie uns sagen, wie er gekleidet war, als er sich auf den Weg nach Travemünde machte?«
»Ich glaube, er hat sich noch umgezogen«, sagte Djaffar, »aber wir haben ihn beide nicht das Haus verlassen sehen. Aber wahrscheinlich hatte er Jeans und irgendein Sweatshirt an und bestimmt seine blaue Windjacke.«
»Und was für Schuhe?«
»Turnschuhe – Fouhad trägt immer Turnschuhe.«
Die beiden Beamten wechselten einen kurzen Blick.
»Ja, das wars erst mal. Mein Kollege nimmt noch Ihre Personalien auf, falls wir Rückfragen haben.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. In einem Mordfall wurden alle Daten einer Routineprüfung unterzogen, auch die scheinbar unbeteiligter Zeugen.
»Merci, Messieurs!«, dankte Angermüller den beiden Männern und schnupperte dann neugierig in Richtung Herd, an dem immer noch der junge Mann stand, der jetzt den Deckel vom Topf nahm, um darin zu rühren. Ein intensiver Duft von Lammfleisch, Zwiebeln und Gewürzen erfüllte die Luft.
»C’est couscous?«, fragte der Kommissar Hadi fast ein wenig schüchtern auf Französisch. Der kräftige Eintopf, von dem typisch
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