Steilufer
Aufschrift ›Gourmet-Profi‹ über der feldgrünen Hose zeichnete jede Faser seines durchtrainierten Körpers ab. Sein Deckhaar stand als Bürste auf dem Kopf und der Nacken war hoch ausrasiert. Der Kommissar blätterte langsam die ihm gereichten Fahrzeugdokumente durch.
»Sollte es wieder vorkommen, dass Sie Ihre Mitmenschen in Gefahr bringen, gibt es einige Maßnahmen, die Ihnen nicht gefallen werden. Wir werden dann als Erstes Ihren Chef informieren und ich denke nicht, dass der Ihre Fahrweise als seinem Laden zuträglich betrachtet.«
Jansen gab die Papiere zurück.
»Alles klar, Chef!«, salutierte der Profi, ohne sich die Mühe zu machen, besonders überzeugend wirken zu wollen und wandte sich übergangslos dem Ausladen seiner Waren zu.
»Maman! Maman! Yann will mit Jakob und mir an den Strand fahren! Dürfen wir?«
Lionel und sein Hund kamen angerannt, langsam gefolgt von einem großen, schlanken Mann in Jeans, den Anna als Yann Tanguy, ihren Partner, vorstellte. Dunkles, kurzes Haar, sein Teint von der Sonne gebräunt, ein verhaltenes Lächeln – sieht nett aus, dachte Angermüller, aber der Junge sieht ihm nicht sehr ähnlich. »Wir wollten uns eh verabschieden. Du hast ja mit deiner Mutter was Wichtiges zu besprechen!«, sagte er augenzwinkernd zu Lionel. »Wir melden uns, sobald wir etwas über den Verbleib von Herrn Ferhati wissen. Wiedersehen.«
Es war früher Abend und Angermüller ging zu Fuß durch die Lübecker Altstadt nach Hause. Er hatte sich von Jansen an der Obertrave absetzen lassen und genoss das Schlendern durch die schmalen Gänge mit ihren liebevoll restaurierten Häuschen, die sich häufig mit grünen Kletterpflanzen schmückten oder gar einen romantischen, kleinen Garten vorzuweisen hatten. Seine Wildlederjacke hatte er locker über eine Schulter gelegt, denn die Luft war warm und mild. Den ganzen Tag hatte die Sonne vom Himmel gestrahlt und in jedem Gespräch hatte man sich gegenseitig versichert, dass dies wohl der lang erwartete Sommer sein müsse, der endlich Einzug gehalten habe.
Die Mediterranisierung der deutschen Innenstädte machte auch vor der altehrwürdigen Hansestadt im Norden nicht halt. Überall, wo es ein geeignetes Fleckchen gab, luden Tische und Stühle zum Verweilen unter freiem Himmel ein und schufen ein südlich anmutendes Flair. Im Innenhof der ›Neuen Rösterei‹ fand auch Angermüller einen Platz an einem Tischchen und gönnte sich einen Milchkaffee. Er spürte, wie er sich entspannte, als er sich zurücklehnte und das bunte Treiben um sich herum beobachtete, doch seine Gedanken kreisten um die mehr oder weniger mageren Ergebnisse des heutigen Tages.
Die Chancen, dass es sich bei dem Toten vom Strand um den verschwundenen Fouhad Ferhati handelte, standen fifty-fifty. Alter, Größe, Figur und was sie über die Kleidung des Vermissten wussten, sprachen durchaus dafür. Natürlich wäre der Versuch einer Identifizierung der Leiche möglich gewesen, aber bis heute hatten sie die Öffentlichkeit aus dem Fall heraus halten können. Außerdem erschwerte das Nichtvorhandensein des Gesichts diesen Weg und solange es andere Möglichkeiten gab, festzustellen, ob der Tote mit dem Vermissten identisch war, musste man niemandem unnötigerweise solch einen grässlichen Anblick zumuten. Spätestens übermorgen würden dem LKA in Kiel die Ergebnisse der Genanalyse der am Basecap gefundenen Haare vorliegen, um sie mit den Materialien des Toten vergleichen zu können.
Nach der Teamsitzung am Nachmittag hatte Eckmann dem Lokalreporter grünes Licht für die Veröffentlichung seiner Exklusivfotos geben müssen. Der hatte allerdings zugesichert, bei den Aufnahmen nur Totalen zu nehmen und die grausigen Details wegzulassen. Aber natürlich wollte er endlich seine Fotos verwerten und der Erste sein, der über den unbekannten Toten vom Strand berichtete. Das war zwar nicht gerade erfreulich, doch sie teilten ohnehin nur das mit, was in Hinblick auf ihre Ermittlungen zu verantworten war und da sie eh noch im Nebel stocherten, war das nicht viel. Die Pressestelle gab also eine Meldung heraus, dass am Wochenende ein unbekannter Toter in einem Boot am Strand angetrieben worden war und dass es sich bei der Leiche um einen noch jungen, höchstwahrscheinlich aus Nordafrika stammenden Mann handelte. Auch den Todeszeitpunkt – die Nacht von Donnerstag auf Freitag – fügte man hinzu und schloss dann mit dem altbekannten, alles und nichts sagenden Satz: »Die Motivlage ist
Weitere Kostenlose Bücher