Steilufer
sowohl an qualifizierten Fachkräften wie an willigen Hilfskräften einfach lächerlich ist und dass meine Jungs hier die Jobs machen, die übrig bleiben – andere dürfen sie gar nicht annehmen, solange sie noch keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben. Außerdem spart der Staat das Geld, das er sonst für ihre Unterbringung in diesen luxuriösen Asylantenunterkünften ausgeben müsste! So, das musste einmal gesagt werden.«
Anna Floric holte tief Luft.
»Soll ich meine ausländischen Mitarbeiter jetzt herholen?«, fragte sie dann mit übertriebener Betonung des Adjektivs.
»Danke, ist nicht nötig!«
Die beiden Beamten erhoben sich.
»Wir würden uns sowieso ganz gerne einmal das Zimmer von Herrn Ferhati ansehen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Ganz und gar nicht – bitte kommen Sie.«
Fouhad Ferhatis Reich wirkte wie ein typisches Jugendzimmer, wenn auch ein sehr ordentliches. Eingerichtet mit zweckmäßigen, hellen Kiefernmöbeln, an den Wänden drei aus Magazinen ausgeschnittene Bilder von berühmten Fußballhelden, sehr exakt nebeneinander angebracht, daneben eine Pinnwand mit Fotos und im Regal neben einem Kassettenrecorder wenige Bücher, drei Aktenordner, ein Fußball und eine Wasserpfeife. Auf einem kleinen Schreibtisch waren Hefte und Bücher ordentlich gestapelt, die auf einen Deutschkurs schließen ließen. Alles war sehr aufgeräumt, nichts lag irgendwo herum, sogar das Bett sah aus wie gerade vom Zimmermädchen gemacht.
»Die gehört dem Vermissten, nehme ich an?«
Jansen deutete auf ein rotes Basecap, das neben dem Kleiderschrank an einem Garderobenbrett über einem schwarzen Jackett hing.
»Das ist seine Lieblingsmütze! Er setzt sie immer verkehrt herum auf, obwohl das ein bisschen doof aussieht«, lächelte Anna Floric.
Jansen griff in die Tasche seiner Jeansjacke, streifte sich Gummihandschuhe über, holte eine Plastiktüte hervor, nahm die Mütze vom Haken und packte sie ein.
»Kann uns vielleicht weiterhelfen, man weiß ja nie!«, sagte er freundlich zu Anna, die leicht irritiert zusah.
Angermüller war vor die Pinnwand getreten. Neben ein paar bunten Ansichtskarten, von denen manche Meer und Strand, mehrere eine Stadt namens Oran zeigten sowie einem Foto von Ferhati und seiner Travemünder Freundin gab es eine Reihe Familienbilder, wahrscheinlich von seinen Angehörigen in Algerien. Auf einem war ein älterer Mann abgebildet, in einer Djellaba, dem typischen wollenen Kapuzenmantel, sowie eine Frau in einem geblümten, langen Kleid, um den Kopf locker ein Tuch geschlungen, aus dem das dunkle, von Silbersträhnen durchzogene Haar hervorquoll. Die jüngeren Leute auf anderen, offensichtlich vom Fotografen gemachten Fotos, waren modern gekleidet und hatten sich wohl für einen festlichen Anlass sehr schick gemacht.
»Das sind Fouhads Eltern und Geschwister. Sie fehlen ihm sehr – wer weiß, wann er sie wiedersehen wird.«
Anna Floric war neben Angermüller getreten.
»Warum ist er hierhergekommen?«
»Das ist eine lange Geschichte, aber um es kurz zu machen: Er hatte sich einer Gruppe angeschlossen, die für demokratische Verhältnisse eintritt, Menschenrechtsverletzungen in Algerien öffentlich anprangert, einen dritten Weg zwischen der herrschenden Politik und den islamistischen Organisationen versucht – das hat bereits gereicht, dass er festgenommen und gefoltert wurde.«
»Algerien, Algerien?«, sinnierte Angermüller. »Ich dachte, die politische Lage hätte sich beruhigt dort.«
»Sie hat sich so weit beruhigt, dass es nach dem offenen Bürgerkrieg in den 90er Jahren mit zehntausenden von Toten jetzt ›nur‹ noch mehrere 100 Verschwundene pro Jahr gibt, die meistens nie wieder auftauchen. Und Leute, die einfach nur ihre menschlichen Freiheitsrechte einfordern, sitzen zwischen allen Stühlen – verfolgt vom Regime, dem Militär und den Islamisten müssen sie um Leib und Leben fürchten«, Anna Floric seufzte. »Ich könnte Ihnen noch eine Menge mehr dazu erzählen, aber Sie sind wegen etwas anderem hier.«
Bestimmt könnte auch Astrid einiges zu diesem Thema beitragen, dachte Angermüller. Sie arbeitete schließlich in einem Asylhilfeprojekt und sie wusste nur zu genau, welchen Repressalien die Menschen, mit denen sie zu tun hatte, in ihren Heimatländern ausgesetzt waren. Es war ihm plötzlich seltsam unangenehm, dass er fast nie mit ihr über diese Dinge sprach. Aber sie hatten so wenig Zeit miteinander, weshalb sie meist über die Kinder oder die
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