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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Danz
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geschehen?«
    »Eines Tages war Said plötzlich verschwunden. Meine Stiefbrüder sagten natürlich: Da siehst du, so sind sie, diese Maghrebiner! Kaum hast du dich mit ihm eingelassen, schon sucht er sich eine andere. Unehrliche, unzuverlässige Typen! Als sie dann auch noch mitkriegten, dass ich ein Kind von Said erwartete, hieß es sofort: Jetzt wissen wir es, deswegen hat er dich sitzen lassen! Der will doch nicht eine Frau und so ein Blag am Halse haben!«
    »Du Arme! Das muss ja wirklich schrecklich für dich gewesen sein!«
    »Es war die Zeit der Herbststürme in der Bretagne und einige Tage, nachdem Said verschwunden war, trieb einige Kilometer weiter nördlich an der Küste ein Boot an, das aus dem Hafen unseres Ortes gestohlen worden war. Das Ruder war abgebrochen und in der Kajüte fand man Saids Jacke mit seinen Papieren und einer größeren Summe Geld. Danach war für die anderen natürlich alles klar: Er wollte mit dem Boot abhauen und ist bei dem Sturm dann über Bord gegangen.«
    Anna hielt kurz inne.
    »Er wurde nie gefunden.«
    »Oh Gott, wie entsetzlich!«
    »Ich wusste immer, so konnte es nicht gewesen sein. Said war mit seinem Ersparten unterwegs gewesen, um nach einer alten Holzwiege zu schauen, die er in einem Antiquitätenladen entdeckt hatte. Und was ich heute so weiß wie damals: Said war ein Sohn der Wüste. Das Meer machte ihm Angst. Nie hätte er sich allein mit einem Boot und schon gar nicht bei so einem Sturm auf den Atlantik gewagt! Da musste etwas anderes passiert sein. Aber niemand wollte auf mich hören. Ich war ja nur so ein verliebtes, dummes Ding und die Gendarmen machten blöde Bemerkungen, statt meinen Hinweisen in irgendeiner Form nachzugehen.«
    »Nein, wie furchtbar! Das ist das Schlimmste: Einen geliebten Menschen zu verlieren, aber nie die letzte Gewissheit zu haben, nie richtig Abschied nehmen zu können. Eigentlich hättest du damals therapeutische Hilfe haben müssen in so einer Situation!«
    »Das hätte ich mal meiner Familie vorschlagen sollen! Die waren Erstens gar nicht so unfroh, dass sie den ungeliebten Algerier los waren und eine Therapie ist in ihren Augen was für Verrückte. Ich selbst hatte genug mit der Schwangerschaft und dann mit meinem Baby zu tun und konnte überhaupt nicht einschätzen, was für ein Trauma ich durch diesen Verlust erlitten habe. Ich war sehr traurig, hatte Schlafstörungen, Ängste – das alles fand ich aber normal. Schließlich hatte ich den Menschen verloren, der mir am wichtigsten war.«
    Frauke legte ihre Arme um die Freundin und drückte sie.
    »Was musst du durchgemacht haben!«
    »Es dauerte lange, bis ich akzeptiert habe, dass Said nicht wieder zurückkommt. Als Lionel geboren war, habe ich dann endlich seiner Familie in Algerien schreiben können. Er hatte dort noch seine Mutter und drei Brüder. Leider habe ich sie nie kennengelernt, denn für Said wäre es zu gefährlich gewesen, damals in seine Heimat zurückzukehren. Ich habe nie eine Antwort bekommen«, Anna schluckte. »Ach Frauke, er fehlt mir immer noch!«
    Frauke fasste die Freundin an den Schultern.
    »Ich bewundere dich! Letztlich hast du ja doch das alles allein geschultert, dein Kind ist ein wundervoller, ganz normaler Junge geworden und du hast dir hier diese neue Existenz aufgebaut – und dass du in der jetzigen Situation dann alte Ängste hochkommen fühlst, ist doch völlig in Ordnung! Jede noch so starke Frau würde da wie du reagieren!«
    »Danke, Frauke, es tut mir gut, wenn du das sagst! Überhaupt bin ich froh, mal wieder mit dir reden zu können!«
    »Jederzeit, mein Mädchen! Weißt du doch!«
    Für einen Moment blieben Frauke und Anna schweigend aneinander gelehnt sitzen und lauschten dem Zirpen der Grillen und dem Quaken der Frösche, das die warme Nachtluft erfüllte. Anna fühlte sich mit einem Mal ruhig und entspannt. Vielleicht muss ich mir einfach öfter mal freinehmen und nicht immer nur ans Restaurant denken, ging es ihr durch den Kopf, diese Gespräche mit Frauke sind viel zu selten. Ihre Freundin war eine große Frau, bestimmt über einen Meter achtzig, sehr schlank mit einer etwas knochigen Figur und einer klaren, lauten Stimme. Ihr Haar war aschblond, straßenköterblond nannte sie es auf ihre flapsige Art. Sie trug es in einer praktischen Kurzhaarfrisur. Überhaupt war ihr das Praktische immer wichtig, ob es sich um ihr Auto, den Haushalt oder ihre Kleidung handelte. Deshalb sah man Frauke privat fast immer in Jeans, T-Shirt und

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