Steilufer
auch die Frösche im Teich am Ende des Gartens an zu quaken.
Zum Nachtisch hatte Anna ihre ›Mousse au Chocolat à la minute‹ gemacht, einfach Sahne und geschmolzene Schokolade verrührt, die sie auf einer Mischung aus frischen Früchten – Kirschen, Johannisbeeren und Pfirsichen – servierte, für die Großen mit einem Schuss Brandy. Müde von den Spielen des Tages zogen sich Lionel und Jakob bald freiwillig in Jacobs Zimmer zurück, wuschen sich, putzten die Zähne und fielen ins Bett. Auch Napoléon trollte sich ins Haus und legte sich auf eine Decke, die Frauke ihm vor die Tür des Kinderzimmers gelegt hatte.
»Jetzt erzähl mal genau – was ist bei euch los? Warum bist du so durch den Wind?«, forderte Frauke die Freundin auf, als sie allein im Garten zurückgeblieben waren. Es war immer noch nicht richtig dunkel und wenn man nach oben sah, konnte man die Schemen der Fledermäuse erkennen, die lautlos zwischen der Krone einer Eiche und dem Reetdach hin und her huschten, auf der Jagd nach Nahrung.
»Was bei uns los ist, ist ziemlich schnell gesagt: Du weißt ja, dass einer von unseren algerischen Angestellten seit einer Woche verschwunden ist, der, von dem unsere Jungs gestern den Motorroller gefunden haben. Ja, und heute Morgen hatte jemand Naziparolen an die Wand der Villa geschmiert.«
»Oh Scheiße – und du hast Angst wegen Lionel?«
»Natürlich! Hättest du wahrscheinlich auch an meiner Stelle, oder?«
»Ja, klar!«
»Ich habe schon einmal den Menschen verloren, der mir das Wichtigste auf der Welt war und wenn ich mir vorstelle…«
Anna schüttelte den Kopf und sprach nicht weiter. Frauke legte den Arm um sie.
»Ich verstehe dich, aber so darfst du nicht denken, Anna! Was mit deinem Mitarbeiter passiert ist, weißt du ja noch gar nicht und die Polizei wird diese Typen schon schnappen, die ihre blöden Parolen an die Villa geschmiert haben!«
»Seitdem Said damals verschwunden ist, wirft mich so was einfach aus der Bahn und ich war gerade dabei, mich hier sicher und geborgen zu fühlen.«
»Du hast mir noch nie erzählt, was damals genau passiert ist.«
»Wenn ich das so genau wüsste. Ich habe immer versucht, das Geschehen von damals zu verdrängen, ganz bewusst zu verdrängen, weil ich Angst hatte, verrückt zu werden, weil ich sonst nie hätte aufhören können, darüber nachzugrübeln. Ich habe gedacht, irgendwann ist es dann einfach vorbei und vergessen. Du weißt schon, die Zeit heilt alle Wunden und so.«
»Wenn wir schon bei klugen Sprichwörtern sind, sage ich dir: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Vielleicht hilft dir das ja auch.«
Anna nickte langsam.
»Mit meiner Verdrängungsmethode war ich jedenfalls nicht sehr erfolgreich.«
»Ich denke, es wird eher gut für dich sein, wenn du darüber redest.«
»Vielleicht hast du ja recht.«
Frauke nickte ermutigend und Anna begann:
»Said und ich waren schon über ein Jahr zusammen damals. Mein Vater und meine Stiefbrüder mochten ihn von Anfang an nicht. Said war geflohen, weil er als Mitglied einer Studentengruppe, die für demokratische Verhältnisse in Algerien eintrat, damals um sein Leben fürchten musste. Dort war Chaos, Krieg, jeder gegen jeden. Aber die Leute aus dem Maghreb sind von vielen Franzosen nie als gleichberechtigte Mitbürger akzeptiert worden, obwohl sich wegen der alten Kolonien schon immer viele fremd aussehende Menschen aus anderen Kulturen im Land aufhielten.«
Frauke füllte die Weingläser mit dem frischen Muscadet nach, den Anna mitgebracht hatte.
»Nach dem Tod meiner Mutter hatte Said das Lachen in mein Leben zurückgebracht. Ich war 17, als meine Mutter starb. Meine Stiefbrüder waren erwachsene Männer und mein Vater hatte mit sich selbst zu tun, er hat den Tod meiner Mutter nie verwunden. Ich war allein und als Said plötzlich vor mir stand, da war es passiert.«
„Das kenne ich«, seufzte Frauke. »So ist mir das mit Jakobs Vater auch gegangen. Ich hab ihn gesehen und war hin und weg, aber als ich dann schwanger war, war leider ganz schnell auch unsere Beziehung futsch.«
»Als ich schwanger war, war Said überglücklich. Er ging sofort los, kaufte ein Paar Fußballschuhe in der kleinsten Größe, die es gab, denn er war ein begeisterter Fußballer und überzeugt, dass es ein Junge würde. Er war so stolz, Vater zu werden.«
Anna lächelte in sich hinein und Frauke betrachtete sie mitfühlend.
»So was solls auch geben, nur mir ist so jemand nie begegnet. Und was ist dann
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