Stein und Flöte
eine gute Frau gewesen. Er zog sich von allen Freunden zurück, zeigte sich kaum, und wenn er eine Verhandlung führen mußte, erschien er den Beteiligten oft wie abwesend. Seine Urteile sollen den Leuten zuweilen recht seltsam vorgekommen sein. Das ging so über ein Jahr. Dann kehrten seine Freunde zurück, um ihn aufzumuntern, wie es hieß, und brachten ihn dahin, daß er seine Trauer ablegte, wieder mit ihnen ausritt und am Abend Musik spielen ließ. Aber er fand seine heitere Fröhlichkeit nicht mehr wieder, fing an, mehr und hastiger zu trinken, als dies früher seine Art gewesen war, und widmete sich anstatt der Rechtspflege lieber der Edelsteinseife, die damals in der Flußschleife unterhalb des Schlosses entdeckt worden war.
In dieser Zeit geschahen dann die schrecklichen Dinge in Barleboog. Wir hier im Dorf erfuhren davon durch einen entlaufenen Diener, der am Morgen abgehetzt und mit zerfetzten Kleidern aus dem Wald gerannt kam. Zunächst brachte er kaum ein Wort über die Lippen, und erst nach und nach bekamen wir heraus, was er hatte mit ansehen müssen. Es hatte ihn fast um den Verstand gebracht. Zwei Tage darauf kam dann der junge Barlo ins Dorf geritten und führte drei ledige Pferde am Halfter mit sich. Sobald ich ihn sah, stürzte ich aus dem Haus und fragte ihn, wo er herkomme.
»Vom Markt«, sagte er, »wo ich Pferde gekauft habe. Warum bist du so erregt?«
»Weißt du noch nicht, was im Schloß von Barleboog geschehen ist?« fragte ich, und als er den Kopf schüttelte, erzählte ich ihm, was wir von dem Diener erfahren hatten. Da stieg Barlo ab und fragte: »Wo ist dieser Diener?«
»In meinem Haus«, sagte ich; denn meine Frau hatte sich inzwischen seiner angenommen.
Barlo erschrak, als er sah, in welchem Zustand der Diener war. Auch er befragte ihn und mußte so die grausige Geschichte zum zweiten Mal anhören. »Sieh dich vor, Barlo«, sagte der Diener zum Schluß. »Gisa hat im Sinn, auch dich von ihren Wölfen umbringen zu lassen, damit keiner mehr am Leben bleibt, der ein Anrecht auf die Herrschaft von Barleboog hat. Und sie weiß, daß du mit Pferden unterwegs bist.«
Der Bericht des Dieners hatte Barlo so zornig gemacht, daß er hinausrannte und sich auf sein Pferd schwang, um geradewegs nach Barleboog zu galoppieren. Ich lief ihm nach, hängte mich an seine Zügel und beschwor ihn, nicht in seinen sicheren Tod zu reiten. Schließlich sah er ein, daß er allein nichts würde ausrichten können, und blieb vorerst in meinem Haus, um weitere Nachrichten abzuwarten. Aber was wir zu hören bekamen, war eher noch schlimmer als das, was wir schon erfahren hatten. Gisa hatte mit ihren Knechten das gesamte Tal unter ihre Herrschaft gebracht und ließ keinen am Leben, der sich dagegen aufzulehnen versuchte.
So vergingen ein paar Wochen, bis Barlo eines Morgens sagte: »Ich kann nicht länger tatenlos hier herumsitzen. Gib mir ein paar alte Kleider. Ich kenne im Tal einen Bauern, dem ich vertrauen kann. Bei ihm werde ich mich als Knecht verdingen. Dort werde ich schon herausfinden, was man gegen diese Wolfsbrut unternehmen kann.« Ich versuchte, ihm dieses gefährliche Vorhaben auszureden, aber er ließ sich nicht umstimmen. Also gab ich ihm ein paar abgelegte Sachen, und er brach am Abend auf, um auf Schleichwegen ins Tal von Barleboog zurückzukehren. Das war das letzte Mal, daß ich Barlo gesehen habe, bis er heute mit dieser seltsamen Truppe ins Dorf gezogen kam.
Als Dagelor seine Geschichte zu Ende gebracht hatte, schaute Lauscher hinüber zu Barlo. Das war also der rechtmäßige Herr von Barleboog, der da saß und gleichmütig an einem Stück Brot kaute. »Warum hast du mir nicht gesagt, wer du in Wirklichkeit bist, Barlo?« fragte er. Aber Barlo zuckte nur lächelnd mit den Schultern und winkte ab, als sei das nicht weiter wichtig.
»Ich hoffe, ich habe nicht zu schlecht von deinem Vater gesprochen, Barlo«, sagte Dagelor. »Nach allem, was ich erlebt und gehört habe, kann ich die Dinge nicht anders sehen, als ich sie erzählt habe, und ich bin zu alt, um höfliche Reden zu drechseln.« Barlo legte ihm die Hand auf die Schulter und gab ihm zu verstehen, daß er ihm seine ehrliche Meinung nicht verüble.
»Es war viel von Recht und Gerichtsbarkeit die Rede in deiner Geschichte«, sagte Lauscher. »Interessiert dich das so?«
»Wie sollte es nicht?« sagte Dagelor. »Seit mein Vater starb, habe ich hier im Dorf Recht gesprochen und überall gut zugehört, wo von dergleichen Dingen
Weitere Kostenlose Bücher