Stein und Flöte
Anschein, als könne es kein Verständnis zwischen diesen beiden Menschen geben. Aber gleich nachdem man Lujos weggebracht hatte, ging Fredebar auf Raudis zu und sagte: »Ich freue mich, Raudis, daß du gewonnen hast.«
»Macht dir das nichts aus?« fragte Raudis.
»Warum?« sagte Fredebar erstaunt. »Ich habe versucht, meine Rolle so gut wie möglich zu spielen. Aber es hätte mir leid getan, wenn man Terlos verurteilt hätte; denn er scheint ein netter Bursche zu sein.«
Da mußte Raudis lachen. »Er ist einer«, sagte sie, »und du kannst sicher sein, daß er dir nichts nachträgt.«
»Warum sollte er das?« fragte Fredebar.
Raudis betrachtete ihn kopfschüttelnd und sagte dann: »Du bist der argloseste Mensch, der mir je begegnet ist. Gibt es eigentlich Dinge, die du ernst nimmst?«
»Dinge wohl kaum«, sagte Fredebar. »Aber es könnte sein, daß ich anfange, dich ernst zu nehmen.«
Als sie das hörte, sagte Raudis: »Das solltest du vielleicht auch.«
Barlo sah es gern, daß sein Sohn Gefallen an diesem Mädchen fand; denn er hatte schon während der Verhandlung ihre Klugheit bewundert und auch den Mut, mit dem sie Lujos herausgefordert hatte. In der folgenden Zeit fand er immer wieder einen Grund, zusammen mit Fredebar ins Gebirge zu reiten und bei dieser Gelegenheit Kratos zu besuchen. Wenige Wochen nach der Verhandlung kam dann seine Frau zu Tode. Sie hatte wieder einmal ihre vornehmen Freunde aus der Stadt zur Jagd eingeladen, und als die bunte Kavalkade einem Hirsch über eine Hecke nachsetzte, stürzte sie so unglücklich vom Pferd, daß sie sich den Hals brach. Da war es für einige Zeit vorbei mit dem lustigen Leben auf Barleboog. Barlo trauerte lange um seine Frau, denn er hatte sie in all ihrem Leichtsinn sehr geliebt. Doch nach einem Jahr wurde dann die Hochzeit von Fredebar und Raudis gefeiert. Zur Begrüßung der Gäste flatterten bunte Fahnen auf dem Schloß, und wieder trabte ein prächtiger Zug von edlen Damen und Herren durch das Tal, das er beim letzten Mal so traurig verlassen hatte.
Barlo verstand sich gut mit seiner Schwiegertochter, denn er erkannte, daß sie seine Auffassung vom Richteramt besser verstand als sein eigener Sohn. Er hoffte wohl, daß die verspielte Art Fredebars in ihr das richtige Gegengewicht finden würde. Während Fredebar auf die Jagd ritt oder sich von einem fahrenden Spielmann die neuesten Tänze vorfiedeln ließ, saß Raudis oft bei Barlo, um sich mit ihm über seine Rechtsfälle zu unterhalten. Und als sie nach angemessener Zeit einen Sohn gebar, war es wohl vor allem ihr Wille, daß er den Namen seines Großvaters erhielt, den man seither den alten Barlo nannte.
Raudis hatte eine schwere Geburt gehabt, von der sie sich nie mehr erholte. Die meiste Zeit verbrachte sie im Haus. Der alte Barlo hatte sich inzwischen angewöhnt, mit ihr alles zu besprechen, was er zu entscheiden hatte. Sein Enkel ist da von Anfang an dabeigewesen. Zunächst wird er wohl in einer Ecke gesessen und gespielt haben, während die beiden miteinander redeten, aber bald saß auch er bei ihnen und hörte aufmerksam zu, wie er mir später selbst berichtet hat. »Ich will versuchen, dir alle Geschichten von bemerkenswerten Rechtsfällen zu erzählen, die ich kenne«, sagte der Alte einmal zu Raudis. »Soweit sie der Junge heute noch nicht versteht, sollst du sie ihm weitergeben, wenn ich nicht mehr am Leben bin. Ich sehe schon, daß mein Sohn anderes im Sinn hat.«
Als sein Enkel sieben Jahre alt war, starb der alte Barlo, und Fredebar übernahm die Herrschaft auf dem Schloß und das Richteramt. Aber er ritt nicht mehr über Land wie sein Vater, denn es genügte ihm wohl, sich mit dem zu begnügen, was im Tal von Barleboog zu regeln und zu richten war. Da ritt er lieber mit seinen Freunden aus der Stadt zur Jagd, und als das Trauerjahr verstrichen war, fing er auch wieder damit an, wie vordem seine Mutter im Schloß Feste zu feiern, daß man die Musik bis hinunter ins Dorf hören konnte.
Es soll auch vorgekommen sein, und zwar nicht selten, daß Leute aus dem Tal zuerst zu Raudis gingen, ehe sie ihre Sache Fredebar vortrugen. Er nahm dann ihren Rat gern an; denn er war alles in allem kein übler Mann und hatte nicht vergessen, daß Raudis schon damals bei der Verteidigung des Terlos das richtige Gespür bewiesen hatte.
Raudis wurde immer schwächer und starb, als der junge Barlo fünfzehn Jahre alt war. Für Fredebar war das ein harter Schlag, denn sie war ihm trotz ihrer Krankheit
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