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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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legten trockenes Holz in die Glut, bis sie von neuem aufloderte. Dann hob Barlo die Hexenmaske mit dem zottigen Gewand vom Boden und warf sie in die Flammen. Noch einmal glühte es gelb und rot aus den leeren Augenhöhlen, und die grinsende Fratze verzog sich, als sei dieses scheußliche Gesicht lebendig geworden, bis es schließlich knallend unter einem Funkenregen auseinanderbarst und von den Flammen aufgefressen wurde.
    Inzwischen hatten sich alle wieder um das Feuer gelagert und sprachen halblaut über das, was sie gerade erlebt hatten. »Es ist wirklich wie in deinem Märchen, Gurlo«, sagte Rauli. »Auch die Wölfe können es nicht ertragen, wenn man lacht. Das sollten wir uns merken.«
    »Wie war es dann möglich, daß sie solche Macht gewonnen haben?« fragte Lauscher.
    »Wundert dich das?« antwortete Rauli. »Meinst du, es sei jemandem eingefallen zu lachen, als Gisas Knechte über Fredebar und seine Gäste herfielen? Gisa hat schon dafür gesorgt, daß kein Anlaß zum Lachen geboten wird, und heute gibt es keinen Menschen im Tal, der nicht in Angst und Schrecken lebt. Wo alle Freude erstorben ist, wächst die Macht der Wölfe.«
    »Wir sollten alle beieinander bleiben«, sagte einer der Spielleute, »sonst sind wir im Tal von Barleboog unseres Lebens nicht mehr sicher.«
    Als er das hörte, schüttelte Barlo den Kopf und griff zu seiner Flöte. »Hast du noch nicht verstanden, worum es hier geht?« sagte er in seiner Tonsprache. »Wir sind nicht ausgezogen, nur um diese böse Frau davonzujagen. Wichtiger erscheint mir, jedem im Tal die Freude zurückzubringen, ohne die der Mensch nicht leben kann. Es hört sich zwar vernünftig an, wenn du vorschlägst, daß wir uns nicht trennen sollten, aber bei dem, was wir vorhaben, ist das Unvernünftige das einzig richtige. Sobald wir den Wald hinter uns gebracht haben, werden wir in Gruppen von zwei oder drei Männern auseinandergehen. Es darf im ganzen Tal keinen Einzelhof und kein Bauernhaus in den Dörfern geben, in denen nicht einer von uns seine Späße treibt. Wir sollten zumindest herauszubekommen versuchen, wie sich Gisa verhält, wenn jedermann ihren zottigen Knechten ins Gesicht lacht. Erst wenn die Dinge soweit gediehen sind, werden wir alle uns beim Schloß wieder treffen.«
    Am nächsten Tag erreichten sie gegen Mittag die Stelle, an der ihr Weg aus dem Wald heraus in den weiten Talgrund führte. Zu beiden Seiten des Flusses wichen die Bäume zurück bis zur halben Höhe der Hänge und umsäumten das Tal bis hinauf zum Gebirge, das sich im Hintergrund auftürmte. Dazwischen breiteten sich Wiesen und Äcker aus, die roten Dächer von einzelnen Höfen und kleiner Dörfer leuchteten aus den weißen Blütenwolken der Apfelgärten, und weit hinten über dem Fluß, der sich in sanften Windungen durch das Tal schlängelte, stachen zierlich wie Kinderspielzeug die Türme des Schlosses von Barleboog in die blaugrüne Wand der Wälder. Lauscher betrachtete dieses friedliche Bild, das nichts verriet von dem bösen Zauber, der diese Landschaft wie ein unsichtbares Spinnennetz überzog.
    »An die Arbeit, Freunde!« rief Rauli und spielte wieder einmal den großen Pläneschmied. Jeder Gruppe wies er das Gehöft an, in dem sie ihre Künste zeigen sollte; und er sorgte dafür, daß ein Geschichtenerzähler immer auch einen Spielmann oder Spaßmacher zur Seite hatte, der die Leute aufheitern konnte, wenn die Geschichte zu lang werden sollte. Barlo legte Lauscher die Hand auf die Schulter und wies auf einen Einzelhof, der am linken Talhang etwa in halber Entfernung zum Schloß lag. Dann trieb er sein Pferd an und ritt los.
    Jetzt, wo sie im Tal von Barleboog angekommen waren, schien es Barlo nicht mehr eilig zu haben. Er ließ sein Pferd im Schritt über den grasigen Weg trotten, holte seine Flöte aus der Tasche und fing wieder an zu spielen, eine frei schweifende, fröhliche Melodie, in der sich die Konturen dieser friedlichen Landschaft abzeichneten, und als Kehrreim tauchte immer wieder die Schlußzeile seines Narrenliedes auf: »… denn Barlo reitet jetzt durch das Land.« Von überallher, wo die Spielleute im Tal auf dem Wege waren, hörte man bald Dudelsäcke und Fiedeln, Schalmeien und Flöten antworten, von Hang zu Hang hallte es wider, ein Strom von Musik ergoß sich in das weite, grüne Becken, um es bis zum Rand zu füllen, und von der Waldschlucht bis hinauf zum Gebirge konnte man hören, daß Barlo geritten kam.
    Lauscher ritt auf seinem Esel neben seinem

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