Stein und Flöte
führte ich ihn zum hohlen Baum und forderte ihn auf, nachzusehen, ob das Geld dort versteckt sei. Wargos langte hinunter in die Höhlung und holte einen Beutel mit Goldstücken heraus. Er schüttete sie auf seine Hand und zählte sie. ›Ein schlechter Preis für vier Kühe‹, sagte er. Dann tat er sie in den Beutel zurück, steckte ihn ein und lachte. ›Das hast du dir gut ausgedacht‹, sagte er. ›Ich wette, du hast den Beutel selbst versteckt, damit ich dir deine Lügengeschichte glaube. Da du jedoch behauptest, daß das Geld nicht dir gehört, kann ich es ja behalten.‹ Dann lachte er wieder, als sei das Ganze ein großartiger Spaß. Das machte mich so wütend, daß ich ihn dort stehenließ und über die Weide hinunter nach Hause lief. Aber ich kann mir schon denken, was dann weiter geschehen ist.
»Das überlaß lieber mir«, sagte Barlo. »War das alles, was du zu sagen hast?«
»Ja«, sagte Terlos.
»Warum hast du bisher zu keinem darüber gesprochen?« fragte Barlo.
»Heute abend soll der Fremde das restliche Geld bringen«, sagte Terlos. »Je weniger Leute davon wissen, desto besser, dachte ich mir. Man sollte allerdings Lujos jetzt daran hindern, seinen Hehler zu warnen. Vielleicht glaubt man mir dann, wenn man den Fremden mit dem Geld ertappt.«
»Vielleicht«, sagte Barlo. »Doch jetzt soll mein Sohn Fredebar als Ankläger sprechen.«
Fredebar stand auf, und man konnte ihm ansehen, daß es ihm Spaß machte, in dieser Verhandlung eine so wichtige Rolle zu spielen. Er stellte sich in Positur und warf noch einen Blick auf die Zuschauer, ehe er sich seinem Vater zuwendete. »Es sieht so aus«, sagte er, »als stünde hier Aussage gegen Aussage. Meine Aufgabe ist es nun, nach Gründen zu suchen, die für Terlos’ Schuld sprechen. Ich habe sehr genau zugehört, und mir scheint, daß mancher hier mehr gesagt hat, als er beabsichtigte. Nehmen wir einmal an, Terlos wollte Wargos tatsächlich in der Dunkelheit an den Waldrand locken. Er bittet ihn um eine Unterredung, die nicht für fremde Ohren bestimmt sei, aber Wargos lehnt ab. Da sagt Terlos, daß er nicht nur mit ihm reden, sondern ihm auch etwas zeigen wolle. Und da er weiß, daß Wargos großen Wert auf sein Hab und Gut legt, sagte er ihm außerdem noch, daß es um seinen Besitz ginge. Hätte er das geschickter anfangen können? Aber was hat er vor? Nicht einmal Warja sagte er es, obgleich er ihr vertrauen könnte. Und dennoch verrät ihn seine Sprache: Er wolle den Widerstand des Vaters aus dem Weg räumen, sagte er ihr. Spricht man so, wenn man friedliche Absichten hat? Oder klingt das nicht schon nach Gewalt? Was geschieht nun am Waldrand wirklich? Selbst wenn wir die Geschichte mit dem Goldbeutel glauben wollen: Wer sagt uns, daß Terlos ihn nicht tatsächlich selbst dort versteckt hat und versuchen will, seinen Rivalen auf diese Weise auszuschalten? Aber Wargos glaubt ihm nicht, denn er vertraut seinem Großknecht. Er lacht und nimmt auch noch das Geld an sich, das sich Terlos mühsam abgespart hat. Da packt Terlos der Zorn, wie er selbst ausgesagt hat. Aber er läuft nicht davon, sondern sticht zu. Nach allem, was wir gehört haben, bin ich der Meinung, daß Terlos die Tat begangen hat.«
Fredebar hatte ausdrucksvoll und überzeugend gesprochen und dabei seiner Darstellung eine gewisse Dramatik verliehen. Die Leute steckten die Köpfe zusammen, tuschelten miteinander und waren sichtlich beeindruckt. Lujos schien erleichtert über diese Wendung und sagte: »So muß es gewesen sein. Das liegt doch auf der Hand! Du solltest jetzt dein Urteil sprechen, Barlo.«
»Damit werde ich warten, bis die Zeit dazu gekommen ist, Lujos«, sagte Barlo. »Jetzt wollen wir erst hören, was Raudis zur Verteidigung ihres Bruders zu sagen hat.«
Fredebar hatte sich inzwischen wieder auf seinen Platz gesetzt, und nun stand Raudis auf, lächelte ihrem Bruder zu und stellte sich dann so, daß sie Barlo und Lujos zugleich im Auge behalten konnte. »Auch ich habe sehr genau zugehört«, begann sie, »aber ich habe aus dem, was ich gehört habe, andere Schlüsse gezogen. Zunächst will ich dich etwas fragen, Rullos: Wer von euch beiden stand näher an der Stalltür, als ihr das Gespräch belauscht habt, in dem die Verabredung getroffen wurde? Lujos oder du?«
»Lujos«, sagte Rullos. »Er stand unmittelbar hinter dem Türpfosten, während ich bei den Kälbern war.«
»Wie kommt es dann, Lujos«, fuhr Raudis fort, »daß Rullos mehr von dem Gespräch gehört hat
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