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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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erfahren, die wir noch nicht kennen. Doch dieser Wunsch hat nichts mit meinen Geschäften zu tun, sondern entspringt der Begierde, immer tiefer in die Weisheit Arnis einzudringen, die wir in unserer Beschränktheit nie voll erfassen werden. Betrachte uns als deine Schüler, die demütig deine Belehrung erbitten.« Bei diesen Worten erhob er sich halbwegs von der Kante seines Stuhls und verbeugte sich. Orri, der dem Gespräch zu folgen versuchte, ohne jedoch allzu viel zu begreifen, schreckte hoch und ahmte jede Bewegung seines Begleiters genau nach.
    »Bleibt ums Himmels willen sitzen und trinkt noch einen Schluck!« sagte der Sanfte Flöter und schenkte die Becher wieder voll. »Inzwischen wird mir vielleicht eine passende Geschichte einfallen, die es wert ist, daß ihr sie euren Leuten weitererzählt.«
    Die beiden Händler ließen sich wieder auf ihre Stühle sinken und griffen nach den Bechern. Wie zwei folgsame Kinder, die man ermahnt hat, ihre Morgenmilch brav auszutrinken, leerten sie ihre Becher auf einen Zug, während der Sanfte Flöter an seinem nur nippte. Lauscher war vorsichtig geworden und tat es ihm gleich. Er spürte, wie der Vogelbeergeist seine Mundhöhle erwärmte, und fand diesmal schon mehr Geschmack an diesem scharfen Getränk. Inzwischen hatte sich der Sanfte Flöter bedacht, räusperte sich und sagte: »Es gibt da eine Geschichte, von der ihr wahrscheinlich nichts wißt; denn sie hat sich ereignet, als die Horde sich im Winterlager befand und Arni allein ins Gebirge geritten war, um seine Töchter zu besuchen, die, wie ihr wißt, im Hause ihres Großvaters bei den Bergdachsen lebten. Eine von ihnen, Rikka, die heute mit Furro dem Schmied verheiratet ist und eine Zeitlang beim Eselwirt wohnte, hat mir davon berichtet.
    Sie sei damals zwölf Jahre alt gewesen, sagte sie, und zu dieser Zeit hätten die Blutaxtleute das Gebirge immer wieder einmal unsicher gemacht. Ich weiß nicht, ob ihr von diesem raublustigen Gesindel je gehört habt, das seine schmalen Äxte zu allem anderen benützt, nur nicht zum Holzhacken. Sie haben ihre Wohnsitze weiter oben im Norden, aber von Zeit zu Zeit kamen sie damals über die Joche herunter in die Täler und überfielen kleinere Dörfer oder raubten Handelsleute aus. Man habe, sagte Rikka, bei den Bergdachsen die Kinder damit beim Hause gehalten, daß man ihnen sagte: Geh nicht allein in den Wald, sonst holen dich die Blutaxtleute! Das habe man auch zu ihr gesagt, als sie damals allein ins nächste Dorf habe gehen wollen, das eine gute Stunde Fußweg talabwärts liegt. Dort sei in dieser Woche ein Jahrmarkt abgehalten worden, und nachdem sie gehört habe, daß zwischen den Verkaufsbuden allerlei Gaukler ihre Künste vorführten und sogar ein Zauberer dabei sei, der fabelhafte Dinge zuwege bringe, habe sie ihren Großvater gebeten, mit ihr hinzugehen, aber der habe für solchen Firlefanz, wie er sagte, nichts übrig gehabt. ›Dann laß mich allein gehen‹, habe sie gebettelt, doch da habe der Großvater seinen Spruch von den Blutaxtleuten aufgesagt und dann weiter auf das glühende Werkstück auf seinem Amboß eingehämmert. Aber sie habe sich nicht schrecken lassen und sei kurzerhand ohne seine Erlaubnis davongelaufen; denn es sei ihr vorgekommen, als würde sie das wichtigste Ereignis ihres Lebens versäumen, wenn sie nicht den Kunststücken der Gaukler zusehen könne. Es sei noch früh am Morgen gewesen, als sie losgerannt sei, und sie habe sich gesagt, daß sie zum Mittagessen wieder zu Hause sein könne, ohne daß einer nach ihr suchen würde.
    An dieser Stelle ihrer Erzählung machte Rikka eine Pause, und als ich ihr in die Augen blickte, sah ich, daß aus der fernen Erinnerung das Entsetzen in ihr hochkroch. ›Dann sind die Blutaxtleute also doch gekommen‹, sagte ich. ›Ja‹, sagte sie, starrte an mir vorbei ins Leere, als sähe sie diese Ereignisse wieder ablaufen, und erzählte dann, was weiter geschehen war. Als der Weg etwa in der Mitte zwischen den Dörfern durch den Hurlebusch führte, der dort bis zum Bach hinunterreicht, sprang hinter einem Baum ein riesiger rothaariger Kerl hervor, packte sie bei den Haaren und hielt ihr mit der anderen Hand den Mund zu. ›Ich spüre noch heute den Geschmack seiner Finger auf der Zunge‹, sagte Rikka. ›Sie schmeckten nach Schweiß und Rauchspeck.‹ Er zerrte Rikka in den Schatten der Bäume, wo noch fünf andere Männer standen, die wie er pelzgefütterte Lederjacken trugen. Ihre roten Haare hatten sie

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