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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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führte ihn durch die Gasse, die von den Männern ehrerbietig geöffnet wurde, bis hinüber zur Tür von Arnis Hütte. Dort wendete er sich zu der Versammlung und hielt dabei weiter Lauschers Schulter fest, so daß dieser zu seiner Rechten zu stehen kam. Noch nie hatte Lauscher so viele Augen auf sich gerichtet gesehen, und wenn er jetzt hätte reden sollen, wäre kein Wort über seine Lippen gekommen. Er war froh, als dieser Augenblick des Schweigens vorüber war und Höni zu sprechen anfing. »Seit drei Tagen haben wir einen Gast in unseren Häusern«, sagte er. »Von weit her ist er zu uns geritten und hat große Entbehrungen auf sich genommen, um bei uns zu wohnen. Er scheint ein Fremder zu sein und ist dennoch einer von Arnis Leuten. Es ist Lauscher, der Träger von Arnis Stein.«
    Wie das Aufrauschen von Baumkronen unter einem jähen Windstoß erhob sich murmelndes Stimmengewirr. Lauscher fühlte sich von Hönis Hand nach vorn geschoben und blickte über die Köpfe der versammelten Männer hinweg zu dem Haus, in dem er drei Tage lang geschlafen hatte. Die Frau, die bei ihm gewacht hatte, trat eben aus der Tür und blickte zu ihm herüber. Trotz der Entfernung sah er ihre Augen auf sich gerichtet, als stünden sie unmittelbar vor seinem Gesicht, diese Augen, die ein Erinnerungsbild in ihm wecken zu wollen schienen, das dennoch verschüttet blieb.
    Während er noch hinüberstarrte und sich unfähig fühlte, seinen Blick aus jenem dieser Frau zu lösen, hörte er, wie Höni hinter ihm flüsterte: »Zeig ihnen den Stein!« Wie unter einem Zwang griff Lauscher zu dem Beutel, zog den Stein hervor und hob ihn in die Höhe, daß sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne in ihm fingen und den Augenkreis in glühenden Farben aufleuchten ließen. Mit einem Schlag waren die Männer verstummt und blickten gebannt auf das funkelnde Farbenspiel. Bewunderung sprach aus ihren Augen, ja Verehrung für diesen Stein und auch für seinen Träger, dem es zukam, dieses Kleinod zu hüten. Deutlich meinte Lauscher dies alles in den Mienen der Männer zu lesen. Der Besitz des Steins erhob ihn hoch über das Volk von Arnis Leuten, und das war es, was Arni ihm hatte schenken wollen. Die Zeit des Dienens und des ziellosen Umherirrens war für immer vorüber. Er blickte über die Menge hinweg zu der Frau, um auch aus ihren Augen diese Verehrung entgegenzunehmen, doch er sah nur noch, daß sie ihm den Rücken zugewendet hatte und langsam zwischen den Häusern davonging. Einen Augenblick lang war er versucht, ihr nachzulaufen, doch dann wurde ihm bewußt, wie unziemlich es sein würde, diese feierliche Versammlung wegen einer Frau zu stören, die hier obendrein nichts zu suchen hatte. Schließlich war das hier Männersache. Und gleich darauf hätte er ohnehin keinen Schritt mehr von der Stelle gehen können; denn Arnis Leute umringten ihn nun von allen Seiten und begannen immer lauter seinen Namen zu rufen: Lauscher, Lauscher, Lauscher!

    Diese brausenden Rufe klangen ihm noch im Ohr, als er die Augen öffnete und sich auf seinem Bett wiederfand. Es mußte das Rauschen in den Bäumen vor dem Fenster gewesen sein, das ihn geweckt hatte. Heftige Windstöße fuhren in das Laub der alten Linden, und in der Ferne hellte Wetterleuchten den Himmel auf und warf die Schatten wild bewegter Äste an die weiß gekalkte Zimmerwand. Oder reckten noch immer die Männer ihre Arme in die Höhe, um ihm zuzuwinken, schwankende Schatten mit knotigen Fingern, die nach ihm zu greifen schienen? Er schloß die Augen und fühlte sich wieder emporgehoben von der Verehrung, die Arnis Leute ihm entgegenbrachten. Doch da war irgend etwas gewesen, das die Erhabenheit dieser Stunde gestört hatte, ein Rest von Unsicherheit, eine unerfüllte Erwartung, aber er konnte sich nicht erinnern, was den Glanz dieses Traums verdüstert hatte. Je länger er darüber nachgrübelte, desto undeutlicher wurden die Bilder, die er festzuhalten versuchte. Schließlich blieb ihm nichts mehr davon übrig als das Rauschen der Bäume im Wind, das ihn wieder einschlafen ließ.
    Am Morgen regnete es. Die Blätter der Linden tropften, und die Äste waren schwarz vor Nässe. Nach dem Frühstück erinnerte Lauscher seinen Großvater an den bevorstehenden Besuch der Händler, die sich Arnis Leute nannten.
    »Hol einen Krug Vogelbeergeist aus dem Keller!« sagte der Sanfte Flöter. »Bei diesem Wetter sollte man Reisenden eine wärmende Stärkung anbieten. Er beschrieb, auf welchem Regal

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