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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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über dem Ohr zu einem Knoten gewunden, und jeder von ihnen hatte eine schmalschneidige Axt im Gürtel stecken. Da wußte Rikka, wem sie in die Hände gefallen war.
    Der eine von ihnen schaute sie an wie einen Käfer, den er gleich zertreten will, und fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Jetzt werden sie mir den Hals durchschneiden, dachte Rikka, doch der andere, der sie gepackt hatte und ihr noch immer den Mund zuhielt, schüttelte den Kopf, sagte leise ein paar Worte und deutete auf ihre Kleider. Sie hatte sich an diesem Morgen in der Hoffnung auf den Jahrmarktsbesuch ihren besten Rock angezogen und trug eine Silberkette mit einem Amethystanhänger, den ihr Urgroßvater gemacht hatte. Das hat ihr wohl das Leben gerettet, denn die Männer hielten sie, wie sich später herausstellte, für ein Mädchen aus reichem Haus, das ihnen ein hohes Lösegeld bringen würde. Damals wußte sie das jedoch noch nicht, da sie ihre Sprache nicht verstand, und zitterte am ganzen Leibe vor Todesangst. Der Mann, der sie festhielt, zog jetzt ein dreckiges Tuch aus der Tasche, mit dem er sie knebelte. Dann warf er Rikka auf den Waldboden und fesselte ihr mit einem Lederriemen Hände und Füße. Also wollen sie mich doch nicht gleich umbringen, dachte sie, wie sie zwischen den Farnkräutern lag und die dürren Tannennadeln ihr in Beine und Arme stachen. Von diesem Platz aus konnte sie alles beobachten, was dann weiter geschah.
    Die Männer achteten nicht mehr auf sie, sondern spähten hinaus auf den Weg und lockerten ihre Äxte. Drei von ihnen sprangen hinüber auf die andere Seite und versteckten sich dort hinter den Stauden. Eine Zeitlang hörte man nur das Rauschen des Baches, der unterhalb des Weges durchs Gebüsch fließt. Dann näherte sich von Arziak her das Geräusch von Schritten, und dazwischen klangen die Stimmen von ein paar Männern. Das mußten Steinsucher sein, die zum Jahrmarkt unterwegs waren, um dort rohe Edelsteine an Händler zu verkaufen, und jetzt wußte sie auch, was die Blutaxtleute im Schilde führten. Ich muß die Steinsucher warnen, dachte Rikka, und versuchte den stinkenden Knebel aus dem Mund zu stoßen oder ihre Füße freizubekommen. Aber der Mann, der sie gefesselt hatte, verstand sein Handwerk, und so mußte sie tatenlos zusehen, wie die Steinsucher lachend und schwatzend herankamen, ohne etwas von der Gefahr zu ahnen. Als sie zwischen den Baumstämmen auftauchten, konnte Rikka sie zählen. Sie waren ihrer acht, und jeder von ihnen trug eine prallgefüllte Ledertasche.
    Die lauernden Männer zogen jetzt ihre Äxte aus dem Gürtel, und als sie die Marktgänger zwischen sich hatten, stieß einer der Rothaarigen einen gellenden Schrei aus. Da sprangen alle zugleich von beiden Seiten aus ihren Verstecken, und nun mußte Rikka sehen, daß sie ihren Namen zu recht trugen. Die Steinsucher waren niedergemacht, ehe sie begriffen hatten, was hier gespielt wurde. Die rothaarigen Teufel hielten sich auch sonst nicht lange auf, schnitten den Toten die Ledertaschen vom Gürtel und huschten zurück in den Wald. Der riesige Kerl, der Rikka gefangen hatte, hob sie mit einer Hand vom Boden und warf sie sich über die Schulter wie einen leeren Sack. Dann trabten sie zusammen quer durch das Dickicht, daß Rikka die Zweige um die Ohren schlugen. Weiter drinnen im Wald hatten sie ihre Pferde stehen, saßen auf und galoppierten auf einem schmalen Pfad hinauf in die Berge. Rikka hatte noch gespürt, wie sie der Blutaxtmann quer vor sich über den Sattel legte und lossprengte, dann wurde sie vor Angst und Schmerzen ohnmächtig.
    So weit konnte Rikka aus eigener Erinnerung erzählen. Sie hat später erfahren, was inzwischen zu Hause geschehen war, und erzählte, daß an diesem Morgen, kurz nachdem sie davongelaufen war, ihr Vater Arni unvermutet in die Schmiede ihres Großvaters gekommen sei, um seine Töchter zu besuchen. Ihre Schwester Akka sei auch gleich herbeigelaufen, sobald sie die Stimme ihres Vaters hörte, doch sie selbst habe niemand finden können. Da sei ihrem Großvater der Verdacht gekommen, daß sie trotz seines Verbotes zum Jahrmarkt gelaufen sein könne. Als Arni das hörte, sprang er auf sein Pferd und ritt talabwärts, um sie zu suchen. Dabei stieß er auf die erschlagenen Steinsucher und erkannte sofort, wer diese Untat verübt hatte. Er fand auch die Spur, wo die Blutaxtleute in den Wald gedrungen waren, und während er ihr folgte, las er das Silberkettchen mit dem Amethyst auf, das Rikka bei dem

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