Stein und Flöte
der Schwelle zu empfangen. Sobald die beiden Händler den Sanften Flöter erblickten, sprangen sie von ihren Pferden, blieben, obwohl sie noch einige Dutzend Schritte vom Haus entfernt waren, draußen im Regen stehen, rissen ihre Pelzkappen vom Kopf und verbeugten sich so tief, daß ihr glatt herabhängendes Haar ihre Gesichter verbarg.
Der Sanfte Flöter sah dies mit Verwunderung, und die Lachfältchen an seinen Augenwinkeln begannen sich sanft zu knittern. »Wenn ihr einen alten Mann besuchen wollt, dann kommt näher, tretet ein und seid meine Gäste!« rief er ihnen zu. Da richteten sich die beiden Männer auf, führten ihre Pferde zum Haus und banden sie an eine der Linden. Dann traten sie vor den Sanften Flöter, und als sie sich nochmals verbeugt hatten, ergriff Günli das Wort und sagte: »Du erweist zwei bescheidenen Händlern von Arnis Leuten eine große Gunst, Verehrungswürdiger, daß du sie als Gäste in dein Haus einlädst.«
»Ach was«, sagte der Sanfte Flöter, »macht keine langen Umstände und kommt herein! Ihr seid schon naß genug.«
Trotz dieser nochmaligen Aufforderung machten die höflichen Besucher doch noch allerlei Umstände und überreichten in der Tür dem Sanften Flöter zunächst unter vielen Verneigungen und Gesten der Ergebenheit als Gastgeschenk einen in feinsten Knoten geknüpften Seidenteppich und ein Schachspiel, dessen Figuren aus milchweißem Bergkristall und honigbraunem Rauchquarz geschnitten waren. »Möge es dich stets erinnern an die Weisheit Arnis, der die Wege der Menschen vorausschaute wie ein guter Spieler die Züge der Figuren«, sagte Günli.
»Hat er das?« sagte der Sanfte Flöter. »Nun, jedenfalls verstand er sich aufs Schachspielen, und er hat manchen dabei hereingelegt.«
Die Händler schienen etwas befremdet über diese nach ihren Ansichten wohl zu despektierliche Äußerung ihres Gastgebers, aber als er sie nun zum dritten Male einlud, konnten sie endlich dazu gebracht werden, Haus und Stube zu betreten und nach einiger Nötigung auch am Tisch Platz zu nehmen, allerdings nicht eher, als bis sich der Sanfte Flöter gesetzt hatte. Er füllte die vier Zinnbecher mit Vogelbeergeist und sagte: »Trinkt erst einmal einen Schluck zum Aufwärmen!«
Ohne eine Miene zu verziehen, gossen Günli und Orri das starke Gebräu hinunter, als sei schieres Wasser in ihren Bechern. Durch diesen Anblick ermutigt, nahm auch Lauscher einen kräftigen Schluck, der ihm wie geschmolzenes Blei durch die Kehle schoß, um gleich darauf im Magen als Feuerball zu explodieren. Für einen Augenblick war ihm, als habe ihm jemand ein glühendes Messer in den Leib gerammt, doch dann milderte sich diese jähe Hitze und breitete sich in wohligen Wellen über den ganzen Körper aus. Lauscher atmete tief durch und versuchte dem Gespräch der anderen zu folgen, dessen erste Sätze nur wie fernes Rauschen an sein Ohr gedrungen waren. Günli und Orri saßen auf der Vorderkante ihrer Stühle, als wollten sie jeden Augenblick aufspringen, um dem Sanften Flöter aufs neue ihre Ergebenheit zu bezeugen. »Verehrungswürdiger«, sagte Günli und verneigte sich bei dieser Anrede, »man erzählt in unseren armseligen Hütten viele Geschichten über deine Freundschaft mit Arni, der unser aller Freund bleiben möge.«
Der Sanfte Flöter kicherte in sich hinein. »Ich kann mir schon denken, was eure Geschichtenerzähler sich zusammengereimt haben«, sagte er. Doch Günli ließ sich dadurch nicht beirren und sagte: »Deine Bescheidenheit erweist deine Größe, Verehrungswürdiger. Aber unsere Geschichtenerzähler reimen sich nichts zusammen, sondern bewahren die Worte Arnis getreulich auf, damit sie nicht in Vergessenheit geraten; denn auf ihnen gründet unser Gemeinwesen. Überdies sind sie ständig bemüht, Berichte über Arnis erhabene Taten zu sammeln, und Arnis Stellvertreter hat uns Händlern den Auftrag gegeben, uns nach solchen Berichten auf unseren Reisen umzuhören.«
»Mir scheint, jetzt kommst du endlich zur Sache«, sagte der Sanfte Flöter. »All diese Verehrung wurde mir schon unheimlich. Ich sehe, du handelst auch mit Geschichten und versuchst, bei mir einzukaufen.«
Günli vollführte eine abwehrende Geste und schien peinlich berührt von dieser Deutung seiner wohlgesetzten Worte. »Du mißverstehst mich, Verehrungswürdiger«, sagte er. »Ich gebe zu, daß ich die Schwelle deines wohlgefügten Hauses in der Hoffnung betreten habe, aus deinem Munde von Ereignissen aus Arnis Leben zu
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