Stein und Flöte
hastigen Ritt ihrer Entführer vom Halse gerissen worden war. Nun wußte er, daß die Blutaxtleute seine Tochter entführt hatten, und verfolgte ihre Spur. Als die Leute später seinen Mut bewunderten, allein sechs bewaffneten Männern auf den Fersen zu bleiben, sagte er nur, daß er damals zunächst an nichts anderes habe denken können als an sein Kind, das in die Hände dieser Mordgesellen gefallen war.
Es gelang ihm nicht, sie einzuholen; denn sie waren schnell geritten, und er mußte immer wieder absteigen und den Boden untersuchen, um die Spur nicht zu verlieren. Vermutlich war das sein Glück; denn die Männer hätten ihn wohl kurzerhand erschlagen, wenn er sie hätte aufhalten wollen. So gelangte er immer höher hinauf ins Gebirge, bis die Bäume hinter ihm zurückblieben. Auf den Almwiesen lag schon Schnee, in dem sich die Tritte der Pferde deutlich abzeichneten. Arni sah, daß die Entführer das Joch schon überquert hatten, und mußte die Hoffnung aufgeben, sie noch vor ihren Wohnsitzen abzufangen. Während sein Pferd mühsam den steilen Hang hinaufstolperte, konnten die anderen jenseits der Höhe schon rasch abwärts reiten. Zu diesem Zeitpunkt begann er, wie er später erzählte, sich einen Plan zurechtzulegen. Er hatte auf seinen weiten Ritten in die Gebiete jenseits der Steppe einiges über die Gewohnheiten der Blutaxtleute erfahren. So grausam und räuberisch sie waren, wenn sie über fremde Talschaften herfielen, in ihren Blockhütten hielten auch sie sich an die Gesetze der Gastfreundschaft. Ein Fremder, der bei ihnen um ein Nachtlager bat, war seines Lebens sicher, dies allerdings nur für einen Tag und auch nur dann, wenn keine Gefahr bestand, daß er gekommen war, um Rache für eine Bluttat seiner Gastgeber zu nehmen. Es läßt sich denken, daß die Blutaxtleute unter solchen Umständen ziemlich selten Gelegenheit hatten, einen Gast zu bewirten. Aber Arni wollte es darauf ankommen lassen. Er wußte auch, daß sie als leidenschaftliche Spieler galten und darin sogar die Beutereiter übertreffen sollten. Darauf baute er seinen Plan auf.
Als er sich ihren Hütten näherte, senkte sich die Sonne schon dem Horizont zu. Das Dorf lag in einem kleinen Hochtal an einem See, der von dem Wasser des Sturzbaches gespeist wurde, an dem Arni von der Höhe des Joches her entlanggeritten war. Ehe Arni bis auf Rufweite an die Hütten heran war, hatte man ihn schon entdeckt. Einer der hünenhaften Rotschöpfe trat vor die Tür, spähte zu ihm herauf und rief gleich darauf etwas durch die Tür ins Innere des Blockhauses. Gleich darauf kamen noch zwei weitere Männer heraus, und die drei begannen zusammen auf Arni zuzugehen, der inzwischen sein Pferd angehalten hatte und abgestiegen war. Ein paar Schritte vor ihm blieben sie stehen und betrachteten ihn mißtrauisch. Dann ergriff jener, der ihn zuerst entdeckt hatte, das Wort und sagte in der Sprache der Beutereiter: ›Was willst du bei uns in den Bergen, Steppenwolf?‹
›Versuchen, wie die Luft so hoch über der Steppe schmeckt‹, sagte Arni. ›Habt ihr ein Nachtlager für mich?‹
›Das könnte schon sein, wenn dir die Luft bei uns nicht zu dünn ist‹, sagte der Rothaarige. ›Du mußt allerdings wissen, daß du nur einen Tag lang unser Gast sein kannst.‹
›Länger wollte ich euch auch nicht zur Last fallen‹, sagte Arni.
Der Rothaarige grinste breit und sagte: ›Da bist du gut beraten. Aber ich muß dir noch eine Frage stellen: Haben wir einen deiner Leute erschlagen?‹
›Nicht daß ich wüßte‹, sagte Arni. ›Oder habt ihr neuerdings Streit mit den Beutereitern?‹
›Wir jagen im Gebirge, und ihr jagt in der Steppe‹, sagte der Rothaarige. ›Es wäre töricht, wenn wir übereinander herfielen. Sei unser Gast! Ich werde dich zum Hause Kluibenschedls führen. Er ist unser Häuptling und wird dich beherbergen, wie es Brauch ist.‹
Einer der beiden Männer nahm Arnis Pferd beim Zügel, führte es neben ihm her und brachte es, als sie zwischen die Hütten kamen, in einen Stall, während die beiden anderen mit dem Gast auf ein größeres Blockhaus zugingen, das auf einem fast mannshohen Fundament von Steinblöcken errichtet war und in der Mitte des Dorfes stand. Der das Gespräch geführt hatte, trat als erster durch die Tür und forderte Arni auf, ihm zu folgen. Der andere blieb draußen.
Arni mußte sich durch einen schmalen, lichtlosen, aus Felsbrocken gefügten Gang tasten, der zweifach abgeknickt war. Erst als Arni die zweite Biegung
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