Stein und Flöte
dir Ersatz für die zwölf Pferde, die du durch meine Schuld verloren hast.«
Hunli nickte zufrieden und sagte: »Ich sehe, daß du nicht ohne Einsicht bist. Allerdings habe ich nicht nur Tiere eingebüßt, sondern auch einen Mann, der sich den Hals gebrochen hat, als er von seinem durchgehenden Pferd zu springen versuchte. Doch darüber wollen wir später reden. Jetzt will ich mir diese Pferde ansehen.«
Er ließ sich von Lauschers Begleitern die zwölf Pferde einzeln in allen Gangarten vorführen, betastete ihre Fesseln und griff ihnen ins Maul wie ein Roßhändler. Schließlich zeigte er sich zufrieden und befahl einigen seiner Leute, die Pferde zu übernehmen, und gab auch Anweisung, Blörri und seine drei Männer mit allem zu versorgen, was sie brauchten, und ihnen ein Zelt zuzuweisen. »Gute Tiere«, sagte er zu Lauscher. »Diese Forderung, die ich an dich und Arnis Leute hatte, soll damit als erfüllt gelten. Komm in mein Zelt und sei für heute mein Gast, Träger des Steins!«
Lauscher merkte sehr wohl, daß Hunli seine Gastfreundschaft auf den heutigen Tag beschränkte, um für morgen freie Hand zu haben. Bis dahin war er selbst jedenfalls seines Lebens sicher.
Sobald er hinter dem Khan ins Zelt trat, sah er den Teppich, den er Narzia bringen sollte, ein mehr als mannslanges, seidig glänzendes Stück, das zwischen zwei Zeltstangen über dem erhöhten Thronkissen hing, auf dem Hunli Platz nahm, bevor er auch Lauscher einen Sitz an seiner Seite zuwies. Der Khan hatte Lauschers bewundernden Blick bemerkt und sagte: »Gefällt dir dieser Teppich? Er ist mir sehr kostbar, denn der Großmagier der Falkenleute hat ihn mir geschenkt, als ich nach Falkenor geritten war, um Hönis Hochzeit zu feiern. Damals wäre es mir allerdings nicht in den Sinn gekommen, daß Höni sich einmal gegen mich stellen würde. Später hat sich dann gezeigt, daß er eine Frau gewählt hatte, die nicht bereit war, sich den Sitten der Horde zu fügen. Sogar diesen Teppich wollte sie wieder in ihren Besitz bringen. Oft sind es dann solche Frauen, die tüchtige Männer ihrem Volk entfremden. Aber den Teppich hat sie nicht bekommen!«
Jetzt begriff Lauscher, warum dies der einzige Gegenstand im Lager der Beutereiter war, den Narzia zu besitzen wünschte. Es schien ihm überhaupt, daß sie sich mehr den Falkenleuten zugehörig fühlte als dem Volk, unter dem sie aufgewachsen war, vielleicht gerade deshalb, weil diese fremde Abkunft sie von allen anderen Menschen unterschied, unter denen sie lebte. Sie war kein Mensch, der unter seiner Andersartigkeit litt; sie wollte anders sein und war stolz darauf, daß sie es war.
Inzwischen waren weitere Männer ins Zelt gekommen, und Hunli machte Lauscher mit ihnen bekannt, zunächst mit seinen drei Söhnen Husski, Trusski und Belarni. Die beiden älteren, beide schon zwischen 30 und 40 Jahre alt, hatten die gleichen scharfen Züge wie ihr Vater und betrachteten Lauscher abweisend mit ihren dunklen, steinernen Augen; Belarni war viel jünger, ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren, und lächelte Lauscher freundlich zu, als er ihn begrüßte. Dann traten auch die Ältesten der Horde heran, die der Khan zu dem Gastmahl eingeladen hatte.
Sobald der letzte von ihnen sich auf den Kissen niedergelassen hatte, die im Kreis vor dem Thronsitz des Khans auf dem teppichbelegten Boden angeordnet waren, wurde das Essen aufgetragen, ein am Spieß gebratenes, fettes Lamm, das mit allerlei bitteren und scharfen Würzkräutern angerichtet war. Die Sklaven versorgten jeden der Gäste mit lederdünnem, auf heißen Steinen gebackenem Flachbrot, und dann teilte der Khan jedem sein Stück von dem Lamm zu, zuerst Lauscher, zu dessen Empfang das Mahl veranstaltet wurde, dann seinen Söhnen und danach den Oberhäuptern der Sippen in der Reihenfolge ihres Alters. Die Mahlzeit wurde schweigend eingenommen. Zur Unterhaltung der Gäste spielte neben dem Zelteingang ein Mann auf seiner Schalmei eine näselnde Melodie, die von einem anderen mit einer handgroßen Trommel begleitet wurde. Diese Musik klang Lauscher rauh und eintönig in den Ohren und weckte in seiner Vorstellung das Bild der öden Steppe, in der es keine Farbe gab außer dem Graugrün des sirrenden Grases.
»Ich hoffe, unsere Musik erfreut dein Herz«, sagte Hunli. »Du wirst verstehen, daß ich dieses Instrument deiner Flöte vorziehe.« Lauscher verstand dies nur zu gut und spürte auch den warnenden Unterton in der Stimme des Khans. Er würde nicht dulden,
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