Stein und Flöte
daß die Flöte noch einmal vor seinen Ohren gespielt wurde.
Als alle satt waren, entließ Hunli mit einem Wink die Musiker und sagte: »Nun sollten wir ein wenig miteinander reden, Träger des Steins. Den Verlust unserer Pferde hast du ausgeglichen. Jetzt bleibt noch der Mann, der durch deine Schuld zu Tode gekommen ist. Was gedenkst du mir dafür anzubieten?«
Auf eine solche Frage war Lauscher nicht vorbereitet gewesen, als er in die Steppe hinausgeritten war. Er sah, daß die Augen aller, die hier im Kreis saßen, auf ihn gerichtet waren, und spürte, daß mit dieser Frage Hunlis eine Art Zweikampf begonnen hatte, in dem er selbst möglicherweise um sein Leben zu kämpfen hatte. Zunächst versuchte er, Zeit zu gewinnen, und sagte: »Von dem Tod dieses Mannes habe ich nichts gewußt, Khan Hunli. In deiner Botschaft war davon nicht die Rede. Warum hast du das verschwiegen?«
»Vielleicht wärst du sonst gar nicht gekommen?« sagte Hunli lauernd und lächelte wie ein Spieler, der seinen Gegner in die Enge getrieben hat.
Vermutlich wäre ich wirklich zu Hause geblieben, dachte Lauscher, aber das sagte er natürlich nicht; denn so schnell wollte er sich nicht geschlagen geben. Außerdem ärgerte es ihn, daß Hunli sich offenbar anschickte, mit ihm sein Spiel zu treiben. »Was soll diese Frage?« sagte er. »Du hast mir nicht die Möglichkeit gelassen, diese Entscheidung zu treffen; also hast du auch kein Recht, mir eine zu unterschieben, die mich in den Augen der Leute entehrt. Ich bin da. Was willst du mehr?«
»Genugtuung für das Leben eines Mannes!« sagte Hunli. »Wie gedenkst du sie zu leisten?«
Lauscher fragte sich, was man unter Beutereitern für das Leben eines Mannes zu bieten pflegte. Wenn hier die Regel Leben gegen Leben galt, dann hätte der Khan ihn wohl gleich bei seiner Ankunft umbringen lassen können und nicht erst als Gast in sein Zelt geladen. Oder wollte er ihn nur noch ein bißchen zappeln lassen, ehe er morgen zuschlug? Lauscher spürte Angst in sich aufsteigen, und um sie zu betäuben, sagte er: »Du wirst wohl nicht annehmen, daß ich dich auffordere, mir die Kehle durchzuschneiden.«
Der Khan lachte. »Was hätte ich davon?« sagte er dann. »Erstens wäre das sehr langweilig, und zum anderen fehlte mir dann noch immer ein Mann. Hat man dir meine Botschaft nicht in allen Einzelheiten mitgeteilt? Ich habe eigentlich erwartet, daß du auf den Vorschlag eingehst, den ich dir gemacht habe.«
»Du hattest ausrichten lassen, daß wir um dies oder jenes spielen könnten«, sagte Lauscher und war erleichtert. Offenbar hatte der Khan die ganze Zeit über nur darauf gewartet, daß ihm ein geeignetes Spiel vorgeschlagen würde. Vielleicht auch ein Einsatz.
»Hast du gemeint, der Khan der Beutereiter hätte es nötig, dich mit einer Lüge hierherzulocken?« sagte Hunli ungeduldig. »Mein Bruder scheint dir nicht viel von unseren Sitten erzählt zu haben.«
»Dazu hatte er wenig Zeit«, sagte Lauscher. »Er lag im Sterben, als ich ihn zum ersten Mal sah.«
»Dann bist du also doch einer von den Leuten des Großen Brüllers!« sagte Hunli. »Arni kam im Kampf mit ihnen ums Leben.«
»Wenn du es genau wissen willst«, sagte Lauscher, »ich bin der Sohn des Richters von Fraglund.«
»Du hast Arni erschlagen und seinen Stein als Beute an dich genommen!« sagte Hunli, und das klang fast befriedigt, denn dies war endlich eine Sache, die seinen Vorstellungen entsprach. Doch Lauscher berichtigte sofort diesen Irrtum.
»Schwerlich hätte mir Arni dann den Spruch gesagt, der zu dem Stein gehört«, sagte er. »Kennst du ihn?«
»Ja«, sagte Hunli. »Laß hören!«
Da beugte sich Lauscher zu Hunli hinüber und raunte ihm den Spruch ins Ohr:
»Folge dem Schimmer,
folge dem Glanz,
du findest es nimmer,
findst du’s nicht ganz.«
Der Khan nickte. »Du besitzt den Stein zu recht«, sagte er. »Arni hat ihn dir offenbar gegeben, wenn dies auch von den unbegreiflichen Taten meines Bruders die unbegreiflichste ist. Wie konnte er einen Feind zu seinem Erben einsetzen?«
»Er hielt mich wohl nicht für seinen Feind«, sagte Lauscher, »denn ich gab ihm seinen letzten Schluck Wasser zu trinken.«
Der Khan schüttelte den Kopf. »Das verstehe wer will!« sagte er. »Ich sehe schon, daß du ein ähnlicher Narr bist, wie er einer war.«
Dieser Spott reizte Lauscher, und da er ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, sagte er: »Arni mag in deinen Augen ein Narr gewesen sein, aber im Schachspiel konntest
Weitere Kostenlose Bücher