Stein und Flöte
du ihn nie schlagen!«
Hunlis Gesicht wurde dunkel vor Zorn. Er griff nach seinem Gürtelmesser, doch dann besann er sich, daß Lauscher heute noch sein Gast war, und ließ den goldbeschlagenen Griff wieder fahren. »Wir könnten ja versuchen«, sagte er böse, »ob auch dir das gelingt.«
»Ich habe nichts dagegen«, sagte Lauscher und fragte sich verwundert, auf welch seltsamem Umweg er genau dorthin gekommen war, wohin er gewollt hatte. Er hatte dem Khan Dinge verraten, die er eigentlich hatte verschweigen wollen, hatte sich dabei fast um Kopf und Kragen geredet, und dennoch hatte er sein Ziel erreicht.
»Morgen werden wir also gegeneinander Schach spielen«, sagte der Khan zufrieden. »Ich glaube kaum, daß Arni noch Zeit gehabt hat, dir all seine Kniffe und Winkelzüge beizubringen. Weißt du auch, um welchen Preis du spielen wirst?«
Auch darauf wollte es Lauscher jetzt ankommen lassen. »Du bist es«, sagte er, »der hier eine Forderung zu stellen hat.«
»Gut, daß du das einsiehst«, sagte der Khan. »Da ich einen Mann verloren habe, wirst du morgen um deine Freiheit spielen. Wenn du verlierst, wirst du künftig mein Sklave sein.«
Bald darauf entließ der Khan seine Gäste und lud sie ein, am nächsten Tag wiederzukommen, um dem vereinbarten Spiel zuzusehen. »Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, wollen wir beginnen, Träger des Steins«, sagte er. »Bis dahin kannst du dich ganz nach Belieben im Lager bewegen.«
Als Lauscher das Zelt verließ, erhoben sich die Sippenältesten von ihren Plätzen, wie es sich vor einem bedeutenden Gast geziemt, und dies bestätigte Lauschers Gefühl, daß er sich in dem Gespräch mit dem Khan nicht schlecht gehalten habe. Er schlenderte langsam durch das Lager zu dem Zelt, das man für ihn allein bereitgestellt hatte. Die Leute warfen ihm neugierige Blicke zu, aber keiner sprach ihn an.
In seinem Zelt war eine Sklavin damit beschäftigt, sein Nachtlager aus Teppichen und zottigen Schaffellen herzurichten. Als sie einmal in die Nähe der Öllampe kam, die von einem der Zeltpfosten herabhing, konnte Lauscher ihr Gesicht sehen. Ihre blaßblauen Augen und das fliehende Kinn erinnerten ihn an die Erzählung seines Großvaters von den Leuten am Braunen Fluß. Die Sklavin erschrak, als er sie freundlich begrüßte. Sie war wohl nicht gewöhnt, daß ein freier Mann Notiz von ihr nahm, es sei denn, er suchte eine Bettgenossin für die Nacht. »Stammst du von den Karpfenköpfen am Braunen Fluß?« fragte Lauscher.
»Ja, Herr«, sagte die Sklavin und drückte sich seitwärts an die Zeltwand.
»Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten«, sagte Lauscher. »Es könnte sein, daß ich schon morgen bei euch in den Sklavenhütten wohne.«
Da blickte die Sklavin auf und schaute ihn mit ihren wässrigen Augen an. »Die Leute reden davon, daß du Arnis Stein trägst«, sagte sie. »Ist das wahr?«
»Er hat ihn mir gegeben«, sagte Lauscher und dachte an den Stein, der fern in Arnis Hütte lag.
»Du sollst auch eine Flöte haben, die einmal in unseren Hütten am Braunen Fluß gespielt wurde«, sagte die Sklavin weiter.
»Auch das ist richtig«, sagte Lauscher. »Aber der Khan ist nicht sonderlich begierig darauf, sie zu hören.«
Als er das sagte, glitt für einen Augenblick der Anflug eines Lächelns über das Gesicht der Sklavin. »Dazu hat er wohl allen Grund«, sagte sie.
»Morgen wird er jedenfalls versuchen, sich dafür schadlos zu halten«, sagte Lauscher.
Da trat die Sklavin zu ihm und sagte: »Arni wird dir beistehen, Träger des Steins. Und auch der Große Karpfen, den wir verehren, wird sich der Freundschaft Arnis und des Sanften Flöters erinnern, so wie man diese beiden Männer in unseren Häusern nicht vergessen hat. Nimm das hier und trage es bei dir, wenn du morgen spielst!« Sie streifte eine geflochtene Binsenschnur über den Kopf, an der die Spiegelschuppe eines Karpfens aufgefädelt war, groß wie ein Lindenblatt, drückte sie ihm in die Hand und huschte aus dem Zelt.
Lauscher blieb eine Zeitlang stehen und betrachtete die schillernde Schuppe, befühlte ihre glatte, leicht gewellte Oberfläche und die scharfen Kanten. Ein wenig erinnerte sie ihn an die Muschel, die Arnilukka von ihrer Mutter bekommen hatte. Das Licht der Öllampe brach sich in der dünnen, durchscheinenden Fläche zu farbigen Schlieren, die Form und Tönung wechselten, sobald er die Schuppe bewegte. Er vertiefte sich in dieses Spiel, und dabei löste sich die Beklemmung der
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