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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Gedanken an den morgigen Tag. Dieses schimmernde, hornige Gebilde war schön, doch er bezweifelte, daß es ihm bei seinem Spiel gegen den Khan von irgendeinem Nutzen sein könne. Es war doch wohl nur ein beliebiger Gegenstand, an den die einfachen Fischersleute vom Braunen Fluß ihren Aberglauben knüpften. Schließlich streifte er die rauhe Binsenschnur über den Kopf, schob die kühle Schuppe unter sein Hemd, um sie auf der Haut zu spüren, und legte sich auf das Bett.
    Ob nun diese Karpfenschuppe seinen Schlummer behütet hatte oder ob er so müde gewesen war von dem langen Ritt durch die Steppe: Lauscher schlief in dieser Nacht tief und traumlos bis in den Morgen hinein und wachte erst davon auf, daß die Sklavin, die am Abend zuvor sein Bett hergerichtet hatte, das Zelt betrat und ihm seine Morgenmahlzeit brachte, eine Schale prickelnde saure Stutenmilch und ein Stück von dem dünnen Flachbrot.
    »Ich danke dir für dein Geschenk«, sagte Lauscher. »Es hat mir tiefen Schlaf gebracht.«
    »Das ist gut so«, sagte die Sklavin. »Du wirst heute alle deine Kräfte brauchen. Der Tag wird heiß werden. Vergiß die Schuppe des Großen Karpfen nicht, wenn du zum Khan gehst!« Lauscher öffnete sein Hemd und zeigte sie ihr. Da nickte die Sklavin zufrieden und verließ das Zelt.
    Als er gefrühstückt hatte, ging Lauscher hinaus und sah sich im Lager um. Es bestand aus etwa siebzig schwarzen Filzzelten, größeren und kleineren, die meisten davon mit einer Rauchöffnung oben zwischen den herausragenden Zeltstangen. Ein Stück abseits stand eine Reihe niedriger Hütten mit fellbehängten Wänden und Grasdächern. Ein paar blaßhäutige, fahlblonde Frauen mit dem Gesichtsschnitt der Karpfenköpfe waren dort damit beschäftigt, Wolle zum Spinnen vorzubereiten und die Innenseite von Fellen glattzuschaben. Hier hausten also die Sklaven. Als Lauscher an den Frauen vorüberging, blickten einige von ihnen auf und lächelten ihm zu. Ob sie schon wußten, was er unter dem Hemd auf der Brust trug? Es sah fast so aus.
    Jenseits der Sklavenhütten war eine weite Koppel mit Pfosten und Lederriemen eingefriedet, in der die Pferde der Horde weideten, beaufsichtigt von ein paar Männern, die ebenfalls von den Karpfenköpfen zu stammen schienen, kleinwüchsige, zu Körperfülle neigende Gestalten, die sich ruhig und bedächtig bewegten. Auch sie hatten dieses ausgeblichene blonde Haar und das zurückweichende Kinn, und die meisten trugen einen herabhängenden Schnurrbart, der ihrem Gesicht einen melancholischen Ausdruck verlieh. In einem eigens abgesteckten Pferch entdeckte Lauscher sein Pferd und auch jene seiner vier Begleiter. Einer der Sklaven, ein grauhaariger Mann mit einem merkwürdig faltenlosen Karpfengesicht, striegelte Schneefuß mit sanften Bewegungen und sprach dabei leise zu der Stute. Lauscher schaute ihm eine Zeitlang zu. Es gefiel ihm, welche Freundlichkeit aus jeder Geste dieses Mannes sprach. Schließlich ging er hinüber und begrüßte sein Pferd.
    »Du hast ein schönes Tier, Herr«, sagte der Alte. »Es stammt aus einer edleren Zucht als die struppigen Steppenpferdchen hier.«
    Lauscher dankte dem Mann, daß er Schneefuß so liebevoll pflegte, und wollte ihm eine Silbermünze zustecken, doch der Alte weigerte sich, das Geld anzunehmen, und war fast beleidigt, daß er für einen Dienst, der ihm solche Freude mache, bezahlt werden solle. Als Lauscher ihn fragte, ob er sonst etwas für ihn tun könne, sagte der Alte: »Ich war ein kleines Kind, als Arni mit einem jungen Flöter in unsere Hütte kam, und an diesem Abend hörte ich ihn spielen. Den Klang dieser Flöte habe ich nie vergessen. Ist es wahr, daß du jetzt diese Flöte besitzt, wie die Leute sagen?«
    »Ja«, sagte Lauscher. »Dieser Flöter war mein Großvater und hat mir sein Instrument vererbt, als er starb.«
    »Gute Männer haben ihren Schatten auf dich geworfen!« sagte der Alte. »Ich würde dich gern auf dieser Flöte spielen hören.«
    »Der Khan wird das nicht erlauben, denn er liebt den Klang meiner Flöte nicht«, sagte Lauscher.
    »Das glaube ich dir gern«, sagte der Alte und kicherte in sich hinein. Die Sklaven wußten offenbar gut darüber Bescheid, was Hunli und seinen Reitern im zeitigen Frühjahr draußen in der Steppe zugestoßen war.
    »Ich würde dir gern diesen Gefallen tun«, sagte Lauscher. »Aber ich weiß nicht, wie ich das einrichten soll, ohne den Unwillen des Khans zu erregen.«
    »Komm am Abend zur Pferdekoppel«, sagte der

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