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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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fragte Steinauge.
    »Das soll sie selber gestehen«, sagte Rinkulla, gab die Maus aus der Umschlingung frei und sagte zu ihr: »Nun erzähle dem Träger des Steins deine Geschichte, aber bleib bei der Wahrheit, wenn dir dein Leben lieb ist! Du weißt wohl, daß es keinen Zweck hätte, mir entfliehen zu wollen.«
    Die Maus hockte nun zitternd zwischen der Schlange und Steinauges Laubbett, versuchte hastig mit den Vorderbeinen ihr Fell glattzustreichen, machte dann eine devote Verbeugung und sagte: »Ich weiß, mächtige Rinkulla, daß ich dir nicht entkommen könnte. Und dir, Träger des Steins, will ich wahrheitsgemäß berichten, was ich im Sinn hatte, denn meine Angst vor Rinkulla ist noch weitaus größer als jene vor diesem Falken, von dem du gesprochen hast. Es war in der Tat ein Falkenweibchen mit grünen Augen, das mir befohlen hat, in deine Höhle zu schleichen, die Schnur an deinem Hals durchzunagen und den Beutel zu stehlen, in dem du jenen Stein trägst, nach dem man dich nennt.«
    »Wie konnte die Grünäugige dir dergleichen befehlen?« fragte Steinauge. »Stehst du in ihren Diensten?«
    »Sie hatte mich in ihren Fängen«, sagte die Maus, und man konnte ihr ansehen, daß dies keine angenehme Erinnerung war.
    »Was hat sie dir für den Diebstahl versprochen?« fragte Steinauge.
    »Mein Leben künftig zu verschonen«, sagte die Maus.
    Rinkulla schwenkte unwillig ihren Kopf hin und her. »Glaubst du das einem Falken?« fragte sie.
    »Zuweilen genügt unsereinem schon die Hoffnung«, sagte die Maus.
    »Ist dein Leben nicht ständig auf irgendeine Weise in Gefahr?« sagte Rinkulla. »Du solltest dich schämen, wegen eines dermaßen unsicheren Versprechens eine solch niedrige Tat zu begehen.«
    Diese Rede beschämte die Maus jedoch in keiner Weise, sondern machte sie vielmehr zornig, soweit es erlaubt ist, bei solch einem kleinen Tier von Zorn zu sprechen. Sie richtete sich auf und schrie mit schriller Stimme: »Glaubst du, ich wüßte nicht, daß mein Leben ständig in Gefahr ist, sei es nun durch Falken oder durch deinesgleichen? Soll ich mich schämen, weil ich diese Gefahr oder auch nur die Angst vor der Gefahr ein bißchen verringern möchte? Ihr habt gut reden, ihr Starken, die ihr unsereinen im Vorbeigleiten schnappt, wenn euch eben der Appetit auf ein bißchen Mäusefleisch überkommt. Ihr könnt leicht von niedrigen Taten reden, auf die ihr mit Verachtung herabschaut. Wenn ihr dergleichen unternehmen würdet, mag es wirklich eine niedrige Tat sein, denn ihr seid frei genug, euch dafür oder dagegen zu entscheiden. Wir jedoch huschen voller Angst am Boden hin durch Laub und Gras und spüren ständig eure Bedrohung im Nacken. Soll ich mein Leben aufs Spiel setzen, nur damit dieser haarige Unhold hier sein Spielzeug behalten kann? Schelte meinetwegen diesen Falken, daß er mich zu diesem Wagnis verleitet hat, aber komme mir nicht mit solchen Vorwürfen! Und jetzt friß mich schnell, damit ich’s hinter mich bringe!«
    Das war nun wirklich eine erstaunliche Rede für eine Maus, und dies empfand offenbar nicht nur Steinauge so, sondern auch die Schlange, denn sie sagte: »Es wäre schade, einer solch tapferen Maus dergleichen anzutun. Ich muß gestehen, daß du mich beschämt hast. Darf ich deinen Namen erfahren?«
    »Ich habe noch keinen«, sagte die Maus. »Unter Mäusen ist es üblich, daß man erst dann einen Namen erhält, wenn man etwas Außerordentliches geleistet hat, und so sterben viele von uns, ehe sie überhaupt zu einer bemerkenswerten Tat fähig sind, namenlos unter den Fängen eines Falken, unter den Krallen einer wilden Katze oder –«, hier stockte die Maus und blickte Rinkulla furchtsam an. Die Schlange erwiderte den Blick mit ihren Achataugen und sagte: »Oder?«
    Da nahm die Maus all ihren Mut zusammen und fuhr fort: »Oder im Rachen einer Schlange.«
    Rinkulla neigte befriedigt ihren Kopf und sagte: »Du bist wirklich eine tapfere Maus. Und weil du jetzt nicht nur im Zorn gesprochen, sondern deine Angst überwunden hast, ist es an der Zeit, daß du einen Namen bekommst. Künftig sollst du ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ heißen.«
    Dann wandte sich Rinkulla an Steinauge und sagte: »Ich glaube, ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ hat es verdient, daß du ihm deinen Stein zeigst. Er soll erfahren, daß es bei alledem nicht nur um irgendein belangloses Spielzeug ging, wie er offenbar meint.«
    »Du hast recht, weise Rinkulla«, sagte Steinauge. »Zudem gelingt es mir vielleicht auf

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