Stein und Flöte
diese Weise, die Freundschaft dieses wackeren Mäuserichs zu erwerben.« Während er noch sprach, nahm er schon den Stein aus dem Beutel und legte ihn vor den Mäuserich auf den felsigen Boden. Zunächst ruhte das Kleinod dort im Dunkel wie ein schwarzer Kiesel, doch dann flackerte das Feuer unten in der Höhle auf, und im Schimmer der Flammen begannen innen im Stein die Farben aufzuglühen, breiteten sich in Ringen aus, stiegen auf und durchbrachen die Oberfläche in pulsierenden Wellen von grünem, blauem und violettem Licht, das den staunenden Mäuserich umschloß und sich in den Augen Rinkullas widerspiegelte, als schimmerten nun drei Steine von gleicher Art im tiefen Schatten der Höhle. ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ saß ruhig auf seinen Hinterpfoten und schaute in das Spiel der Farben. Unter ihrem Schimmer schien er zu wachsen, keine Spur von zitternder Ängstlichkeit war mehr an ihm zu entdecken, seine weit geöffneten schwarzen Augen blickten klar, und seine Schnurrhaare spießten kühn zur Seite, mit einem Wort: hier saß ein Mäuserich, der alle Achtung verdiente.
Eine Zeitlang sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann endlich wendete ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ seine Augen von dem Kleinod ab, blickte Steinauge an und sagte: »Ich weiß nun, was für eine Untat es gewesen wäre, dir diesen Stein zu stehlen, aber ich habe jetzt auch erfahren, daß du mir verziehen hast. Ich danke dir, daß du ihn mir gezeigt hast. Unter seinem Schimmer schwindet alles Böse dahin. Zwar werde ich auch in Zukunft von Zeit zu Zeit um mein Leben zittern, aber die Angst, die mich bis heute Tag für Tag verfolgt und erniedrigt hat, ist mir genommen worden. Bei diesem Stein schwöre ich dir, daß ich von nun an dein Freund sein werde, wie du es dir gewünscht hast.«
Das alles sagte er mit solcher Würde, daß Steinauge gar nicht auf den Gedanken kam, eine solche Mäuserede komisch zu finden. Während er seinen Stein wieder in den Beutel steckte, versicherte er dem Mäuserich, daß es dieses Schwurs nicht bedurft hätte, und fügte hinzu, er sei stolz, einen solchen Freund zu besitzen. Dann holte er eine Handvoll Nüsse aus seinem Vorrat und lud ihn zu einer nächtlichen Mahlzeit ein. Der Mäuserich nahm dankend an und sagte: »Aufregung macht mich immer sehr hungrig.«
Auch Steinauge knackte sich ein paar Nüsse und sagte zu Rinkulla: »Es tut mir leid, daß ich nicht auch dir etwas anbieten kann.«
»Das macht nichts«, sagte die Schlange. »Ich habe erst vorgestern etwas gegessen. Außerdem bin ich ja nicht durch den Bach in deine Höhle geschwommen, um hier zu jagen.«
»Was hast du denn sonst gesucht?«
»Dich«, sagte Rinkulla.
Steinauge blickte verblüfft auf. »Mich?« sagte er. »Wie hast du überhaupt erfahren, daß ich hier bin?«
»Unter den Tieren im Wasser wird viel von dir gesprochen«, sagte Rinkulla. »Hast du das nicht gewußt? Der Grüne hat dich schon im Herbst suchen lassen.«
Da erinnerte sich Steinauge an das Mädchen, das mit den Fischen gesprochen hatte und sagte: »Wenn ich damals richtig gehört habe, hat man ihn gebeten, einen Flöter zu suchen, einen Liedermann.«
»Bist du das nicht?« fragte Rinkulla und schaute ihn mit ihren Achataugen an. »Ich weiß es nicht«, sagte Steinauge. »In einer Herbstnacht drüben überm Gebirge habe ich mit Goldauge darüber gesprochen, aber danach war ich nicht viel schlauer als zuvor. Auch sie sagte etwas von einem Flöter, der gesucht wird.«
»Weißt du es wirklich nicht?« fragte Rinkulla, und im Schein des Feuers glommen jetzt in ihren Augen Farben auf, als spiegele sich in ihnen noch immer das Lichterspiel des Steins.
Steinauge grub angestrengt in seinem Gedächtnis, aber er konnte nichts dergleichen zutage fördern. »Ich kann mich nicht erinnern«, sagte er, »aber es wird wohl so sein, daß ich früher einmal dieser Flöter gewesen bin. Bist du gekommen, um mich zu suchen?«
»Nein«, sagte Rinkulla. »Du bist längst gefunden worden, und wir wissen, wo du dich aufhältst. Ich habe nur den Auftrag, von Zeit zu Zeit nach dir zu sehen, weil ich tief im Innern der Höhle mein Winterquartier habe. Es war gut, daß ich dich gerade heute nacht besucht habe.«
»Gerade zur rechten Zeit«, sagte Steinauge. »Warst du schon oft hier?«
»Ein paarmal«, sagte Rinkulla, »aber ich hatte keinen Grund, dich zu stören.«
»Da hast du wohl nur einen halben Bock gesehen, der auf seiner Laubstreu schnarchte«, sagte Steinauge. »Keine Spur von einem
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