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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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gewesen ist?« sagte Nadelzahn. »Ich bin schon zufrieden, wenn ich jeden Tag eine saftige Beute erwische!«
    »Dir mag das genügen«, sagte Steinauge. »Schließlich weißt du ja auch, daß du ein Wiesel bist. Aber wer bin ich? Ein halber Bock? Oder war ich einmal ein Flöter, wie manche behaupten?«
    »Wozu fragst du mich?« sagte das Wiesel. »Mach dir eine Flöte, dann wirst du’s schon herausbekommen.«
    »Genau das hat mir Rinkulla auch geraten«, sagte Steinauge. »Morgen werde ich mir eine Weidenflöte schneiden.«
    »Tu das«, sagte das Wiesel. »Ich mag Musik.« Und damit legten sie sich schlafen.
    So holte Steinauge am nächsten Morgen sein Messer mit dem Ziegenhorngriff aus der Schultertasche, schnitt sich ein paar Weidenzweige ab und teilte sie in Stücke von unterschiedlicher Länge. Während er damit beschäftigt war, die grüne, saftige Rinde mit dem Messergriff vorsichtig zu beklopfen, bis sich der helle, hölzerne Kern herausstoßen ließ, meinte er, als kleiner Junge am Ufer des schmalen Flüßchens bei Fraglund zu sitzen, wo ihn ein alter Schäfer in dieser Kunst unterwiesen hatte. Er entsann sich noch genau, wie man von dem Holz einen kurzen Pflock abschnitt und an einer Seite abflachte, damit eine Öffnung zum Anblasen entstand, wenn man ihn in das Mundstück der Flöte steckte. Dann kerbte man das Rohr an jener Stelle ein, wo der Pflock innen endete, und schon gab das Instrument einen Ton. Er lauschte dem weichen Klang der Weidenflöte nach, der sich in das Rauschen des Wasserfalls mischte, und in seiner Vorstellung wuchs aus diesem Ton eine Melodie, die er spielen wollte. Seine Finger tasteten wie von selbst nach Grifflöchern, die nicht vorhanden waren, und erst als der Ton unverändert weiterklang, wurde ihm bewußt, daß seine Hände sich an eine Kunst erinnerten, die er selbst vergessen hatte. Offenbar waren sie an ein anderes Instrument gewöhnt, etwa von der Art, wie es sein Großvater oder der stumme Barlo benutzt hatten; aber er war jetzt wenigstens sicher, daß er früher auf ihm hatte spielen können. Einstweilen mußte er sich jedoch mit dem behelfen, was ihm damals dieser Schäfer beigebracht hatte, und so richtete er auf die gleiche Weise weitere Flöten her, eine immer ein Stück länger als die andere, stimmte sie aufeinander ab und band sie mit ein paar dünnen Weidenruten zwischen zwei Querhölzern zu einer Reihe zusammen. Er ließ die Flöten von der längsten bis zur kürzesten rasch über seine Lippen gleiten und blies eine Tonleiter.
    »Schon ganz hübsch«, sagte das Wiesel. »Du bist früher wohl wirklich ein Flöter gewesen.«
    »Das war doch nur zur Probe«, sage Steinauge, und dann spielte er eine Melodie, die ihm eben in den Sinn kam. Es war das Lied, das im vergangenen Jahr dieses Mädchen gesungen hatte, ehe es die Fische rief, das Lied von Schön Agla und dem Grünen. Und jetzt wußte er auch, wo er es zuerst gehört hatte, als er noch mit Barlo unterwegs gewesen war. Während er spielte und dabei den Text des Liedes verfolgte, merkte er plötzlich, daß wirklich jemand mitsang, und als er zum Wasserfall blickte, von dem die hohe Stimme herüberklang, sah er hinter dem lichtflirrenden Vorhang stürzenden Wassers eine Frau sitzen, deren langes, grünlich blondes Haar in welligen, ständig bewegten Strömen an ihrem Körper herabfloß. Er spielte, bis die Wasserfrau die letzte Strophe gesungen hatte, und setzte dann seine Weidenflöte ab. Da lachte die Wasserfrau hell und plätschernd und sagte dann: »Du hast ja deine Lieder noch nicht vergessen, du bocksbeiniger Flöter.«
    »Dieses eine habe ich wiedergefunden«, sagte Steinauge. »Ein Mädchen hat es im vergangenen Jahr gesungen, als ich jenseits der Berge war.«
    »Ich weiß«, sagte die Wasserfrau. »Es sucht nach einem Flöter.«
    »Kennst du den Namen des Mädchens?« fragte Steinauge.
    »Auch der wird dir zur rechten Zeit einfallen«, sagte die Wasserfrau. »Wenn dich das Mädchen beim Namen genannt hat, wirst du wissen, wie es heißt.«
    »Wo finde ich das Mädchen?« fragte Steinauge rasch und begierig.
    Da lachte die Wasserfrau wieder, und das klang, als fielen Millionen von Tropfen auf die bewegte Oberfläche des Sees.
    »Du ungeduldiger Tolpatsch!« sagte sie dann. »Willst du das Kind schon wieder erschrecken?«
    Steinauge blickte betrübt auf seine klobigen Bocksfüße und sagte: »Dann werde ich meinen Namen wohl nie erfahren.« Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Kann ich das Mädchen

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