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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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seinen Weg geduckt von Strauch zu Strauch zu suchen, sondern ungehindert im Schatten der hohen Fichten ausschreiten konnte.
    Die Sonne war schon hinter der Felsbarriere untergetaucht, als er ein Rauschen und Plätschern hörte, das mit jedem Schritt stärker wurde, und als er einen kantigen Vorsprung umrundet hatte, sah er, daß hier die Wand zurückwich und einen halbrunden, von Erlen und Weiden umwachsenen Kessel umschloß. Aus einer Einkerbung in der Oberkante der Felswand schoß ein Wasserfall herab und stürzte schäumend in einen kleinen See, dessen Fläche dadurch in ständiger Bewegung gehalten wurde.
    Steinauge suchte sich einen Lagerplatz an einer Stelle, wo die Zweige der Büsche weit über das Wasser hinaushingen, legte dort seine wenigen Sachen ab und sprang in den See, um den Schweiß der langen Wanderung und vor allem den Ziegengestank der Höhle aus seinem Fell zu spülen. Prustend planschte er durch das kalte Wasser, wagte sich sogar einmal unter den stürzenden Bach, wurde von seiner Gewalt in die Tiefe gerissen, tauchte wasserspeiend wieder auf und strampelte rasch zurück unter das Dach aus herabhängenden Weidenzweigen. Als er an Land stieg und sich das Wasser aus dem Pelz schüttelte wie ein nasser Hund, hörte er einen schrillen Schrei, und dann keifte eine hohe Stimme: »Ist das eine Art, einen alten Freund zu begrüßen?«
    Steinauge blickte sich verdutzt um, und da sah er Nadelzahn neben seinem Lagerplatz sitzen. Das Wiesel wischte sich empört die Tropfen aus dem Fell und fuhr fort: »Wenn ich etwas überhaupt nicht leiden kann, dann ist es ein nasses Fell.«
    »Entschuldige meine Ungeschicklichkeit«, sagte Steinauge. »Ich hatte dich nicht bemerkt; überdies habe ich nur dir zuliebe ein Bad genommen, damit der Ziegengeruch deine feine Nase nicht beleidigt; denn ich hatte schon erwartet, dich hier zu treffen.«
    Mit diesen Worten gelang es ihm sogleich, den Zorn des Wiesels zu besänftigen. Sie begrüßten nun einander wie Freunde, und das Wiesel bat mit vielen höflichen Worten um Verzeihung wegen seiner Heftigkeit. »Wasser ist gut zum Trinken«, sagte es, »im übrigen aber halte ich es mir lieber vom Leibe. Es würde mein Gewissen außerordentlich beruhigen, wenn du das junge Birkhuhn annehmen würdest, das mir vorhin über den Weg lief«, und damit schleppte es die Beute aus dem Gebüsch und legte sie Steinauge zu Füßen.
    Kurze Zeit später saßen sie wie in früheren Zeiten beieinander am Feuer, verzehrten ihr Abendessen jeder auf seine Weise, das heißt: Steinauge Brust und Schenkel des Birkhuhns am Spieß gebraten und das Wiesel den Rest roh, und erzählten einander, wie es ihnen ergangen war, seit sie sich zum letzten Mal gesehen hatten. »Magere Jagd im Winter«, sagte Nadelzahn, »und wenn man einmal einen hungerschwachen Schneehasen erwischt oder einen halberfrorenen Vogel, dann ist nicht viel mehr als Haut und Knochen daran. Dieser grünäugige Falke hat mir einmal eine Maus vor der Nase weggeschnappt. Es sieht so aus, als treibe er sich noch immer in dieser Gegend herum. Ich habe mir schon Sorgen wegen deines Steins gemacht.«
    »Dazu hattest du allen Grund«, sagte Steinauge und berichtete seinem Freund, wen die Grünäugige diesmal zum Diebstahl angestiftet hatte und wer ihm zu Hilfe gekommen war.
    »Mit dieser Maus wäre ich auch noch fertiggeworden«, sagte Nadelzahn nicht ohne eine Spur von Eifersucht in der Stimme, wobei nicht ganz deutlich wurde, ob es ihm um den versäumten Freundesdienst oder um die entgangene Beute ging. Jedenfalls leckte er sich genüßlich den Schnurrbart, so daß Steinauge sich beeilte, seine Geschichte zu Ende zu erzählen. »Wenn dir an meiner Freundschaft gelegen ist«, sagte er zum Schluß, »dann solltest du Mäuse in Frieden lassen, so lange wir zusammen unterwegs sind. Es könnte sonst passieren, daß du meinen Freund ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹ zum Frühstück verspeist.«
    »Ich werde versuchen, daran zu denken«, sagte Nadelzahn. »Und auch Ringelnattern will ich künftig verschonen.«
    »Das beruhigt mich sehr«, sagte Steinauge, »denn ich möchte dich nicht verlieren.«
    »Du scheinst ja große Stücke von dieser Ringelnatter zu halten«, sagte das Wiesel ein bißchen beleidigt.
    »Rinkulla ist nicht irgendeine Ringelnatter«, sagte Steinauge und dachte an den feurigen Schimmer ihrer Achataugen. »Sie scheint manches von meiner früheren Zeit zu wissen, die ich vergessen habe.«
    »Ist das so wichtig für dich, was einmal

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