Stein und Flöte
seltsamen Pantomime: Zunächst führte er den Wirt zu seinem Pferd, dann zu Lauschers Esel und wies dabei auf deren Hufe. Dann zeigte er flußabwärts und spreizte zählend nacheinander zwei Finger.
»Ich verstehe dich schon«, sagte der Wirt. »Du willst eure Tiere beschlagen lassen und fragst nach meinem Freund, dem Schmied. Einen besseren wirst du nicht finden, denn er weiß auch mit Eseln Bescheid. Reitet also zwei Tage flußabwärts bis zum nächsten Dorf und fragt dort nach Furro. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, er soll mich wieder einmal besuchen.«
Barlo dankte ihm mit einem Kopfnicken, gab ihm die Hand und stieg wieder auf sein Pferd. Da verabschiedete sich auch Lauscher, schwang sich auf seinen Esel und trabte Barlo nach, der schon den Weg zum Fluß eingeschlagen hatte.
Den ganzen Tag über ritten sie am Fluß entlang, der, angeschwollen vom Schmelzwasser aus den Bergen, hinter Pappeln und Erlen dahinrauschte. Rechts von ihnen erstreckte sich das Hügelland, überzogen vom frischem Grün des Frühlings, und am Horizont wurde die Hügelkette gesäumt von den dunklen Wäldern, hinter denen Barleboog lag.
Um die Mittagszeit gab Barlo das Zeichen zur Rast. Sie setzten sich auf einen umgestürzten Pappelstamm und aßen etwas von den Vorräten, die Großmutter in ihre Satteltaschen gepackt hatte. Dann holte Barlo seine Flöte heraus und spielte ein bißchen vor sich hin. Erst klang es wie die Übungen, die er beim Sanften Flöter hatte blasen müssen, doch dann löste sich aus den Spielfiguren eine Melodie, baute sich auf in weiten Tonschritten, ruhig und fest gefügt. Lauscher merkte auf, ließ das Flötenlied auf sich wirken, und je mehr er sich diesen Tönen hingab, desto deutlicher nahm in seiner Vorstellung das Schloß von Barleboog Gestalt an, ragte empor auf seinem Hügel, schöner als er es in Erinnerung hatte. Er sah das Tor weit offenstehen, Menschen gingen frei hinein und heraus und schienen keinerlei Zwang zu fürchten. Lauscher fragte sich, wie es sein konnte, daß Barlo das Schloß so schön in Erinnerung hatte. Er blickte ihm ins Gesicht und entdeckte zu seiner Überraschung, daß Barlo dieses Schloß offenbar liebte, trotz all der grausamen Erfahrungen, die er dort gemacht hatte. Barlo war ganz vertieft in sein Spiel, aber dann schien er zu merken, daß Lauscher ihn beobachtete. Er blickte auf und sah Lauscher in die Augen, während er seine Melodie zu Ende führte. Als er seine Flöte abgesetzt hatte, zuckte für die Dauer eines Lidschlages ein flüchtiges Lächeln über sein Gesicht, als wolle er sagen: Du wirst schon noch sehen … Dann war er wieder ernst wie zuvor und gab das Zeichen zum Aufbruch.
Die Nacht verbrachten sie in einem Heuschober, und am Nachmittag des zweiten Tages sahen sie dann auf den Äckern, die hier immer häufiger mit ihren braunen Flächen die Wiesen zerschnitten, Bauern bei der Frühjahrsbestellung. Gegen Abend, als es schon anfing dunkel zu werden, kam das Dorf in Sicht, zumeist ärmliche Katen mit strohgedeckten Dächern unter blühenden Apfelbäumen und ziemlich regellos verstreut.
Bei einem Bauern, der mit seinem Pferdegespann von der Feldarbeit heimkehrte, erkundigte sich Lauscher nach Furros Haus und wurde zu einem größeren Gebäude gewiesen, das am anderen Ende des Dorfes lag. Schon von weitem hörten sie das Klingen der Hämmer, und als sie näher kamen, sahen sie in der zur Straße offenen Schmiede den Meister mit einem Gesellen am Amboß stehen, beide unter ihrer steifen Lederschürze nackt bis zum Gürtel. Der Schmied war ein gewaltiger Mann, hochgewachsen und mit breiten, muskelbepackten Schultern. Er mochte so alt sein wie der Eselwirt, denn sein gelocktes Haar, das ihm wirr in die schweißglänzende Stirn hing, war schon grau.
Als Barlo und Lauscher abstiegen und ihre Reittiere an den Querbalken vor der Schmiede banden, blickte Furro auf, legte den Hammer auf den Amboß und wies den Gesellen an, er solle das Werkstück ins Feuer legen, das hinten in der Werkstatt unter einem Abzug glühte. Dann kam er zu den beiden heraus und fragte: »Habt ihr Arbeit für mich?«
Lauscher blickte seinen Herrn an, doch der blieb abseits im Dunkeln stehen und gab ihm einen Wink, daß er sprechen solle. »Ja«, sagte Lauscher, »aber zuvor sollen wir dir Grüße ausrichten vom Eselwirt.«
»Hab ich mir fast gedacht, als ich deinen Esel sah«, sagte Furro. »Eine gute Empfehlung. Kommt herein und seid meine Gäste! Ihr bleibt doch wohl über Nacht?«
Lauscher
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