Stein und Flöte
schaute, kam es ihm gar nicht mehr so seltsam vor, als er sagte: »Jalf, willst du mich eine Zeitlang tragen?«
Als Antwort rieb der Esel sein weiches Maul nun auch an Lauschers Wange.
»Er hat dich akzeptiert«, sagte der Wirt, als käme es allein darauf an, was der Esel wollte. »Es liegt nun an dir, ob es dabei bleibt.«
»Wie muß ich ihn behandeln?« fragte Lauscher.
»Behandeln?« wiederholte der Wirt, als sei dies ein völlig unangebrachtes Wort. »Am besten gar nicht. Geh mit ihm um wie mit einem Bruder. Und binde ihn nie an. Er läuft dir schon nicht davon. Wenn du ihn um etwas bitten willst, dann sag’s ihm in aller Freundlichkeit. Unter keinen Umständen darfst du ihn schlagen, vergiß das nicht!«
»Ich will’s mir merken«, sagte Lauscher.
»Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte der Eselwirt. »Ihr könnt inzwischen wieder in die Gaststube gehen. Ich suche nur noch Zaumzeug und Sattel heraus. Komm, Jalf, jetzt wirst du ausstaffiert!« Er gab dem Esel einen liebevollen Klaps auf die Kruppe, worauf ihm dieser durch die Einfahrt zu den Ställen nachtrottete, während die anderen drei zurück in die Stube gingen und sich an einen der Tische setzten. Nach kurzer Zeit kehrte auch der Wirt zurück und sagte: »Ihr trinkt doch noch einen Schluck mit mir auf diese neue Freundschaft?« Da keiner etwas dagegen einzuwenden hatte, stellte er vier Becher auf den Tisch, brachte dann aus dem angrenzenden Raum einen von seinem kühlen Inhalt feucht beschlagenen Krug und goß ein schäumendes weißes Getränk ein. Dann zog er sich einen Hocker heran und setzte sich zu ihnen. »Mögen sie einander in Liebe ertragen!« sagte er und hob seinen Becher. Die anderen taten desgleichen, und alle tranken einen Schluck.
Lauscher hatte das seltsame Gebräu zunächst mit Mißtrauen betrachtet, sich aber nicht zu fragen getraut, was hier ausgeschenkt wurde. Er kostete mit einiger Vorsicht und wurde überrascht von einem angenehm säuerlichen, leicht prickelnden Geschmack. »Köstlich!« sagte er. »Was ist das?«
»Spezialität des Hauses«, sagte der Großvater. »Vergorene Eselsmilch.«
»Schmeckt’s dir auch, Barlo?« fragte der Wirt.
Barlo grinste ihm freundlich zu, nickte stumm und trank noch einen Schluck. »Besonders gesprächig ist er nicht, dieser junge Riese«, sagte der Wirt. »Er hat die ganze Zeit über noch kein Wort gesagt. Ist er stumm?«
»Jetzt nicht mehr«, sagte der Großvater. »Erzähle ihm, Barlo, wie es sich mit dir verhält. Du mußt dich langsam daran gewöhnen, mit Leuten zu reden.«
Barlo zog seine Flöte heraus und begann zu spielen. Lauscher konnte ihm jetzt schon besser folgen, zumal er ungefähr wußte, was sein künftiger Herr zu berichten hatte. Barlo benutzte die gleichen Motive, die er am Morgen gefunden hatte, leitete danach jedoch in einer dramatischen Steigerung zur Schilderung der Gerichtsverhandlung über und ließ dann die zornige Musik mitten in einer schrillen Passage abbrechen. Lauscher spürte fast körperlich, wie es gewesen sein mußte, als man Barlo die Zunge herausgeschnitten hatte. Bedrückt blickte er zu ihm hinüber, doch Barlo steckte gleichmütig seine Flöte ein, als sei er selbst gar nicht betroffen von dem, was er eben berichtet hatte.
Der Wirt hatte ihm aufmerksam zugehört. Er war wohl durch seinen Verkehr mit dem Sanften Flöter schon geübt in der Deutung von derartigen Mitteilungen.
»Aus Barleboog kommst du also«, sagte er. »Das hätte ich mir denken können. Dort pflegt man ja auf solche Weise mit Menschen umzugehen. Und nicht nur mit Menschen. Da bist du sozusagen ein Leidensgenosse meiner Esel.«
»Was haben deine Esel mit Barleboog zu tun?« fragte Lauscher. »Die Esel, die ich dort gesehen habe, waren mickrige, abgeschundene Kreaturen, die kaum ein Bein vor das andere setzen konnten und nichts als Prügel bekamen.«
»Das ist es ja eben«, sagte der Großvater. »Erzähl ihm deine Geschichte, Eselwirt, sie wird ihn interessieren.«
»Ihr seid nicht die einzigen, Barlo und du, die der bösen Herrin von Barleboog entkommen sind«, sagte der Eselwirt. »Denn auch deinen Worten muß ich entnehmen, daß du dich bei ihr aufgehalten hast.« Er trank noch einen Schluck, und erzählte dann, daß er vor ein paar Jahren noch Eseltreiber auf den Schloßgütern von Barleboog gewesen sei. »Ich hatte für ein Dutzend Esel zu sorgen«, berichtete er, »die in der Hauptsache dazu dienten, das Korn von den Scheunen zur Mühle zu tragen und die Mehlsäcke zurück
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