Stein und Flöte
Deshalb hat es mich auch nicht gewundert, was du von den Eseln in Barleboog erzählt hast, Lauscher.
Als er hörte, wo ich mich jetzt aufhielt, beschloß mein Freund, mit mir zu gehen; denn das Leben in Barleboog war ihm verleidet. Er war Schmied, und dieses Handwerk konnte er überall ausüben. Zunächst schlichen wir zu den Arbeitshäusern unter dem Schloß und schnitten alle Esel, deren wir habhaft werden konnten, von ihren Halsstricken. Diese zweite Herde trieben wir zum Haus meines Freundes. Er weckte seine Frau und ließ sie das Nötigste für die Flucht einpacken. Auch sein Werkzeug nahm er mit, denn Tragtiere hatten wir ja genug. Dann machten wir uns auf den Rückweg durch die Wälder, und ich hatte hier wieder das Haus voller Gäste, die Pflege nötig hatten. Irgendwie muß sich diese Flucht wohl bei den Eseln von Barleboog herumgesprochen haben, denn es kommt immer wieder einmal einer erschöpft aus dem Wald und bittet bei mir um Quartier. Verstehst du jetzt, warum man mich den Eselwirt nennt?«
»Sind deine Esel jetzt alle oben auf den Hügeln?« fragte Lauscher.
»Nein«, sagte der Wirt. »Ein paar von ihnen stehen immer bei mir im Stall. So kommen zum Beispiel die Stuten stets hierher, wenn sie ihre Fohlen werfen, und bleiben dann eine Zeitlang da. Deshalb habe ich auch meistens frische Eselsmilch, um meinen anderen Gästen etwas anbieten zu können. Außerdem habe ich außer Barlos Pferd noch zwei neue Flüchtlinge zu Gast, die ich erst einmal herausfüttern muß.«
»Und dein Freund, der Schmied«, wollte Lauscher noch wissen, »ist der noch hier?«
»Der ist nur kurze Zeit geblieben«, sagte der Wirt. »Das Leben hier war ihm zu einsam. Außerdem wollte er sein Handwerk nicht verlernen. Er lebt jetzt mit seiner Frau zwei Tagereisen flußabwärts in einem Dorf. Aber manchmal besucht er mich noch. Einmal hat er mir das Gestell für mein Wirtshausschild mitgebracht.« Während er noch diesen letzten Satz sprach, pickte es von draußen gegen die Fensterscheibe, und dann erklang das schrille Zetern einer Amsel, das sie sonst nur hören läßt, wenn eine Katze durch die Büsche schleicht.
»Du lieber Himmel!« rief der Großvater. »Das Mittagessen!«
In Eile bedankten sich alle drei für die Bewirtung und verabschiedeten sich von ihrem Gastgeber. Draußen auf dem Hof warteten schon Jalf und Barlos Pferd, beide fertig aufgezäumt und gesattelt.
»Laß mich hinter dir aufsitzen, Barlo«, sagte der Großvater, »damit wir schnell nach Hause kommen.« Und so trabten sie zu dritt – oder zu zweit, je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet – den Weg durch die Hügel zurück und kamen gerade zurecht, als die Großmutter die dampfende Suppenschüssel auf den Tisch stellte.
Am Morgen des nächsten Tages ritt Lauscher mit seinem neuen Herrn wieder bachabwärts. Seine Großmutter hatte ihn bis zum letzten Augenblick mit guten Ratschlägen versorgt, er solle sich immer ordentlich waschen (»Junge hast du gestunken, als du kamst!«), sich nicht mit leichtfertigen Mädchen einlassen und noch mehr Ermahnungen dieser Art. Erst als er sich schon in den Sattel seines Esels schwingen wollte, hatte sie ihn noch einmal in ihre Arme geschlossen, ihm einen feuchten Kuß auf die Wange gedrückt und dabei ein bißchen geschnieft. Der Sanfte Flöter war über alledem kaum zu Wort gekommen. »Halte dich an Barlo«, hatte er zwischendurch nur gesagt, »er wird schon wissen, was er vorhat.«
Ob er das wirklich wußte? Lauscher war sich da nicht so sicher. Barlo hatte den Sanften Flöter auf keine Weise um Rat oder auch nur nach den Wegverhältnissen gefragt und wohl auch keine unerbetenen Auskünfte erhalten. Er hatte seinen Gastgebern die Hand gedrückt und war dann aufs Pferd gestiegen und losgeritten. Auch schien er nicht die Absicht zu haben, Lauscher von seinen Plänen zu unterrichten, falls er überhaupt welche hatte. Bei den Umständen, mit denen seine neue Redeweise verknüpft war, würde er wohl auch weiterhin schweigsam bleiben. Jedenfalls waren seine wenigen Mitteilungen vorderhand auf knappe Gesten beschränkt.
So deutete er, als der Gasthof des Eselwirts hinter dem letzten Hügelhang auftauchte, nur kurz mit der Hand hinüber, um Lauscher zu verstehen zu geben, daß er dort noch einmal halt machen wollte. Der Wirt hatte sie wohl heranreiten sehen und trat, als sie vor dem Haus ihre Reittiere anhielten, in die Einfahrt. Nachdem sie abgestiegen waren und ihn begrüßt hatten, begann Barlo mit einer
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