Stein und Flöte
Urla nicht aus den Zelten der Beutereiter gekommen ist, habe ich mir schon gedacht«, sagte Lauscher.
»Ihre eigenen Frauen gelten den Beutereitern nicht viel«, sagte Rikka. »Es wäre ihnen wohl nie eingefallen, eine von ihnen um Rat zu fragen.« Und dann erzählte sie
Die Geschichte von Urla
Urla war ursprünglich jenseits des Gebirges bei den Erzklopfern zu Hause. Bei anderen Völkern nennt man sie auch die Bergdachse, weil sie wie die Dachse tiefe Stollen in die Berghänge graben, allerdings nicht, um darin zu wohnen, sondern um Erz zu schürfen oder Steine aus den Felsklüften herauszuschlagen. Sie sind auch berühmt wegen ihrer kunstreichen Schmiede, die nicht nur Ackergerät und Waffen, sondern auch kostbaren Schmuck zu hämmern verstehen.
Ein solcher Schmied war Urlas Vater. Man erzählt von ihr, daß sie schon als kleines Kind eine besondere Vorliebe für die schimmernden Steine gehabt hätte, die ihr Vater von den Bergleuten erwarb, um sie in Gold oder Silber zu fassen. Eines Tages, als Urla sieben Jahre alt war, sei dann ein merkwürdiger alter Mann in die Werkstatt gekommen, der die Kleidung eines Steinsuchers trug und an der Seite den schmalen, spitzen Hammer, den sie für ihre Arbeit benutzen. Urla habe sich gerade dort aufgehalten und mit den Steinen gespielt, die ihr Vater in einem hölzernen Kästchen aufbewahrte, bis er sie für ein Schmuckstück benötigte.
»Willst du meinem Vater schöne Steine verkaufen?« habe Urla den Alten gefragt. Doch der habe den Kopf geschüttelt und gesagt, er besitze nur einen Stein, und der sei nicht zu verkaufen.
»Zeig ihn mir!« habe das Kind daraufhin gesagt.
Da habe der Mann einen rund abgeschliffenen, durchscheinenden Stein, der in vielen Farben spielte, aus der Tasche geholt und ihr in die Hand gegeben. Dabei habe er die Hand unter ihr Kinn gelegt und ihren Kopf gehoben, um ihr Gesicht besser zu sehen.
»Du hast die Augen«, habe er dann gesagt, »und so ist auch der Stein für dich bestimmt.« Dann soll er einen Vers gesagt haben, dessen Wortlaut ich nicht kenne.
Urlas Vater sei an seiner Werkbank gestanden und habe nicht gewußt, was er von diesem Mann halten solle, den er noch nie gesehen hatte. Ehe er ihn jedoch habe ansprechen können, habe dieser das Kind geküßt und sei dann so rasch gegangen, daß er ihn nicht mehr habe finden können.
So viel habe ich darüber gehört, wie Urla zu ihrem Stein gekommen ist. Sie trug ihn immer bei sich, und als sie zwanzig Jahre alt war, heiratete sie einen jungen Schmied namens Russo, der sein Handwerk bei ihrem Vater gelernt hatte und sich besonders auf Goldschmiedearbeiten verstand. Bei ihrer Hochzeit schenkte sie ihm den Stein. Er umschloß ihn mit einem Netz aus Silberdraht und trug ihn so an einer Schnur auf seinem Herzen.
Zehn Jahre lang lebten die beiden kinderlos, bis Urla endlich eine Tochter gebar. In diesem Jahr kam ein Händler in die Werkstatt ihres Mannes und kaufte allerlei Schmuck auf. Als der Handel abgeschlossen war, erkundigte sich dieser Mann nach einem gangbaren Weg über das Gebirge.
»Was willst du drüben auf der anderen Seite?« fragte Russo. »Dort beginnt die Steppe, und in dieser Einöde ziehen nur die Beutereiter umher.
»Ich weiß«, sagte der Händler, »zu den Beutereitern will ich ja reisen, denn sie lieben schönen Schmuck über alles.«
»Hast du keine Angst, daß sie dir alles wegnehmen und dich totschlagen?« fragte Russo.
Aber der Händler lachte nur. »Ich sehe schon«, sagte er, »du weißt nicht viel über diese Leute. Händler gelten ihnen als unantastbar, wenn sie auf ihr Gebiet kommen, und sie wissen sehr wohl, warum sie das so halten. Es würde bald keiner mehr ihre Zelte besuchen, wenn sie sich an einem vergriffen.« Russo beschrieb ihm also den Paßpfad, und der Händler ritt seiner Wege. In den Zelten der Beutereiter bewunderte man die kunstreich geschmiedeten Fibeln, Ringe und Ketten und kaufte ihm alles ab. Auch fragte man ihn, welcher Meister so kostbaren Schmuck zu arbeiten verstünde. Da rühmte der Händler die Kunstfertigkeit Russos, der seine Werkstatt auf der anderen Seite des Gebirges bei den Bergdachsen habe, und er sagte wohl auch, daß er auf dem Heimweg wieder bei ihm einkehren und neuen Schmuck bestellen wolle.
Die Beutereiter bezahlten ihn gut und ließen ihn ziehen. Und so ritt er wieder zurück über das Gebirge und vergaß auch nicht, Urlas Mann zu besuchen. Er erzählte ihm von den guten Geschäften, die er gemacht hatte, und bat ihn,
Weitere Kostenlose Bücher