Stein und Flöte
zu den Vorratshäusern. Dergleichen sind Esel gewöhnt, und es macht ihnen nichts weiter aus, wenn man sie ordentlich füttert und im übrigen freundlich behandelt.
Das änderte sich jedoch, als die Schatzsucher Gisas in den Bergen über dem oberen Tal Gold entdeckten. Sie befahl ihren Knechten, ein halbes Hundert Tagelöhner zusammenzutreiben, und ließ sie dort oben Stollen graben und Erz schürfen. Und ich wurde mit meinen Esel hinbefohlen, um die schweren Erzbrocken ins Tal zu schleppen. Eine solche Arbeit hält auf die Dauer kein Esel aus. Bald hatten sie aufgescheuerte Stellen im Rückenfell, und geeignetes Futter war dort oben in den Bergen auch nicht zu finden. Ich legte also meinen Eseln leichtere Lasten auf und ließ sie so langsam dahintrotten, wie es ihre Kräfte erlaubten. Das ging Gisa jedoch nicht schnell genug. Sie wollte Gold in ihren Truhen sehen. Also schickte sie ein paar ihrer gelbäugigen Knechte in die Berge, die in Zukunft die Esel treiben sollten. Die Kerle hatten sich unterwegs gleich ein paar kräftige Haselstecken geschnitten und prügelten damit auf meine Esel ein, wenn sie störrisch wurden und nicht weiterwollten.
Erst versuchte ich, vernünftig mit den Männern zu reden, denn sie verstanden nichts von Eseln. Aber sie waren nur darauf aus, ihre Herrin zufriedenzustellen, und sagten: ›Laß uns in Ruhe mit deinen Eseln. Esel gibt es genug, und wenn ein paar krepieren, holen wir uns andere aus dem Tal.‹ Da beschloß ich, mir die Sache nicht länger mit anzusehen, denn ich liebte meine Tiere. In der Nacht schlich ich mich aus dem Schlafhaus, das man oben bei den Stollen rasch zusammengezimmert hatte, und ging zu meinen Eseln, die draußen auf dem felsigen Gelände angepflockt waren und auf den dürren Unkräutern herumkauten, die man ihnen zum Fressen vorgeworfen hatte. Ich machte sie los und schlug mich mit ihnen in die Wälder. Das war nicht schwer, denn meine Esel kannten mich und trotteten mir brav nach wie Hündchen.
Ich wußte, daß im Westen hinter den Wäldern Grasland lag, und so nahm ich diese Richtung. Zwei Wochen waren wir unterwegs über Stock und Stein. Die Esel fanden im Wald genug zum Fressen, aber ich war eher tot als lebendig, als ich schließlich hinaus auf die grünen Hügel taumelte. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn mich nicht dein Großvater am Waldrand gefunden hätte, Lauscher. Ich lag da ohnmächtig mitten in einer Herde von Eseln, die an mir herumschnupperten. Seine Amsel muß ihm das wohl gezwitschert haben. Jedenfalls brachte er mich in sein Haus, und deine Großmutter päppelte mich wieder auf, nachdem sie mich genau untersucht hatte, ob ich ihr kein Ungeziefer in die Wohnung schleppe.
Dein Großvater erzählte mir auch, daß ein Stück weiter unten im Tal dieser Gasthof leer stehe. Der letzte Besitzer hatte ihn vor einiger Zeit verlassen, weil hier kaum einmal jemand vorbeikommt, seit die Leute den Weg nach Barleboog meiden. Da richtete ich mich hier ein, und meine ersten Gäste waren meine zwölf Esel. Ich hielt sie erst im Stall, bis ihre Wunden ausgeheilt waren und die Rippen nicht mehr durch das Fell stachen. Dann ließ ich sie hinaus auf die Wiese.
Als ich mit meinen Eseln zum Bergwerk ziehen mußte, hatte ich in meiner Hütte all meinen Besitz zurückgelassen. Das war zwar nicht viel, aber darunter waren ein paar Sachen, die mir lieb waren, weil sie noch von meinem Vater stammten, ein schön geschmiedetes Haumesser zum Beispiel und eine alte Bronzefibel in Gestalt eines springenden Esels, denn auch mein Vater war ein Eseltreiber gewesen. Da es mir inzwischen wieder gutging und meine Esel mich nicht so dringend brauchten, ging ich noch einmal zurück durch den Wald nach Barleboog, diesmal aber auf einem kürzeren Weg, den mir dein Großvater beschrieben hatte. Dort schlich ich mich nachts im Dorf unter dem Schloß in meine Hütte.
Während ich nach meinen Sachen kramte, knarrte die Tür, die ich nur angelehnt hatte, und ich erschrak zu Tode. Aber es war nur ein Freund, der hereinkam, um nachzusehen, wer da nachts in meiner Hütte rumorte. Und dieser Freund erzählte mir, daß Gisa sehr wütend geworden sei, als sie von meiner Flucht mit der Eselherde hörte. Sie habe laut vor allen Leuten geschworen, sich an allen Eseln zu rächen, und habe allen Eseltreibern ihre Tiere wegnehmen lassen und sie ihren Knechten übergeben, die sie genauso schinden sollten, wie dies schon die Männer mit meinen Eseln beim Goldbergwerk getan hatten.
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