Stein und Flöte
Mäusen heran, die paarweise miteinander ein fein geflochtenes Netz aus dünnen Grashalmen trugen. Sie legten ihre Last zu Lauschers Füßen ab, und der alte Mäuserich öffnete das zarte Gewebe. Da lag nun der Stein in der Sonne und ließ sein leuchtendes Farbenspiel mit solcher Kraft aus der Tiefe aufsteigen, daß sich der Widerschein von Blau, Grün und Violett in den winzigen schwarzen Augen der staunenden Mäuse spiegelte.
»Arnis Stein!« rief Arnilukka. »Sie haben dir Arnis Stein gebracht!«
»Natürlich«, sagte Lauscher. »Er gehört mir. Davon war doch schon die ganze Zeit die Rede.« Und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er noch immer die Sprache der Tiere verstand, obwohl er kein Faun mehr war.
»Ich kann mit Fischen sprechen, aber nicht mit Mäusen wie du«, sagte Arnilukka.
»Nicht nur mit Mäusen, sondern auch mit allen anderen Tieren«, sagte Lauscher. »Auch dieser Teil meiner Verzauberung ist mir geblieben, aber ich würde ihn gern dafür hergeben, daß ich mit dir hinaus ins Freie gehen könnte.«
Noch während er sprach und niedergeschlagen auf den Stein herabschaute, spürte er, wie das pulsierende Licht der farbigen Ringe sein Herz wärmte und die aufsteigende Traurigkeit vertrieb; er empfand die uralte Verheißung, die aus der Tiefe des Kristalls hervorbrach und ihre Erfüllung fand in Arnilukkas Augen, und er wußte, daß dieser unendliche Augenblick, in dem die Zeit stillstand oder völlig aufgehoben schien, ihm nicht mehr verlorengehen konnte und alles im voraus aufwog, was ihm je noch widerfahren würde, und da er die Freude, die er empfand, nicht für sich behalten wollte, sagte er: »Dies ist der rechte Tag, um ein Fest zu feiern, und ihr sollt allesamt unsere Gäste sein!«
Für alle, die dort am Rande des Birkengehölzes beisammen waren, wurde dies ein denkwürdiges Gelage. Arnilukka packte den Korb aus, den sie am Morgen mit auf den Weg genommen hatte, und es schien fast, als hätte sie gewußt, welche Gäste sie an diesem Tag zu bewirten haben würde. Da gab es einen Beutel voller süßer Nußkerne, getrocknete Äpfel, Birnen und Zwetschgen vom Vorjahr, knuspriges Brot, das so duftete, als sei es eben erst aus dem Backofen geholt worden, festen weißen Schafskäse und einen Krug voll Birnenmost. Die Mäuse versammelten sich im Kreis, putzten noch rasch ihre Schnurrbärte, dann legte ihnen Arnilukka von den Köstlichkeiten vor, und in die Mitte der Tafelrunde setzte sie eine flache Schale mit Most. Alle ließen es sich schmecken, und die Mäuse wurden zusehends lustiger, je öfter sie ihre spitzen Schnauzen in das prickelnde Getränk tauchten. Es dauerte nicht lange, bis eine von ihnen sich aufrecht auf ihr Hinterteil setzte und anfing zu singen und zwar eine Art Heldenlied auf den ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹, das davon handelte, wie dieser junge Mäuserich immer wieder seinen Wachtposten bezogen und den Spott seines dicken, ungläubigen Kumpans auf sich genommen hatte bis zu dem Tag, an dem sein Warten belohnt worden war. Das Lied hatte unzählige Strophen, und der Sänger sparte nicht mit Spott über den fetten Mäuserich, der alles verschlafen hatte, und wußte diese Szenen so drastisch auszumalen, daß er immer wieder von Mäusegelächter unterbrochen wurde. Mit den letzten drei Strophen steuerte er dann dem Höhepunkt zu:
Der Dickwanst legte sich müde ins Gras
und schnarchte und träumte von köstlichem Fraß.
So verschlief er die Stunde, in der es geschah
und versäumte, was nur der Junge sah.
Da tauchte die Nymphe empor aus dem Quell
und kraulte dem steinernen Faun das Fell
und weckte den mit zärtlicher Hand,
der seit Mäusegedenken am Wasser stand.
So zeigte der Junge an diesem Tag
den Alten und Satten, was einer vermag,
der die Hoffnung nicht aufgibt trotz Spott und Hohn
und verdiente sich seinen Namen zum Lohn.
Während der Sänger diese Ballade vortrug, übersetzte Lauscher für Arnilukka jedes Wort, und als er zu Ende gesungen hatte, fragte sie, ob der Mäuserich mit dem ehrenvollen Namen unter den Gästen sei. Lauscher hatte den ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹ schon wiedererkannt, ließ ihn auf seiner Hand Platz nehmen und stellte ihn Arnilukka vor. »Er wollte dir zeigen, wo du mich findest, aber du konntest ihn nicht verstehen.«
»Daran kann ich mich erinnern«, sagte Arnilukka. »Er hatte so ein hübsches weiches Fell. Hat er nicht die Nachricht an meine Fische weitergegeben? Dafür muß ich mich noch bedanken.« Sie nahm den
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