Stein und Flöte
an denen er mit Arnilukka zu einem ihrer Plätze gehen konnte. Wenn der Regen auf das Dach seiner Hütte trommelte, mußte er alleinbleiben; denn Arnilukka war ebenso unfähig, durch den Wald zu seinem Haus herüberzukommen, wie er unfähig war, über die Wiesen zu den Hirtenhäusern hinüberzugehen.
In dieser Zeit fing er an, darüber nachzudenken, wie es im Winter sein würde. Nächtelang grübelte er darüber nach, welche Möglichkeiten es geben könnte, mit Arnilukka zusammenzuleben. Ein Haus am Waldrand wäre das richtige, dachte er. Die Tür müßte sich genau zwischen Licht und Schatten öffnen, damit er zusammen mit Arnilukka hindurchgehen konnte, um mit ihr am Waldrand entlang zu schlendern. Er kannte nun schon jeden Strauch am Weg, jede Brombeerstaude, jede Wurzel und jede Unebenheit des Bodens, und plötzlich wurde ihm klar, daß er sein Leben lang nichts anderes mehr sehen würde als diesen Weg, wenn er mit Arnilukka zusammenbleiben wollte.
Nachdem sich diese Vorstellung einmal gebildet hatte, konnte er ihr nicht mehr ausweichen, und er begann sich zu fragen, ob dies der Sinn all seiner Träume und Gesichte gewesen sein solle, die ihn bis zu jenem Abend begleitet hatten, an dem er Arnilukka endlich in den Armen gehalten hatte. Obwohl es ihm allein schon bei dem Gedanken an diese Begegnung unerträglich schien, daß er hier getrennt von ihr allein in dieser alten Holzfällerhütte liegen mußte, überkam ihn gleichzeitig das Gefühl, in eine Sackgasse geraten zu sein, aus der er keinen Ausweg finden konnte. Den ganzen Sommer über war sie der einzige Mensch gewesen, mit dem er gesprochen und dem er auf seiner Flöte vorgespielt hatte, und die Zeit, in der er allein gewesen war, hatte er damit verbracht, auf die nächste Begegnung mit ihr zu warten. In seiner Erinnerung tauchte das Häuschen auf, in dem seine Großeltern gewohnt hatten. Er hatte damals erlebt, wie vertraut sie miteinander gewesen waren, und dennoch hatte der Sanfte Flöter durchaus noch anderes im Sinn gehabt, als jeden Augenblick in der Gesellschaft seiner Frau zu verbringen, und auch sie hatte es trotz ihrer barschen Reden wohl nicht anders haben wollen. Während er in Gedanken durch das Haus der Großeltern ging und dabei auch die Flötenstube mit der Werkstatt betrat, in der er das Drechseln gelernt hatte, überkam ihn die Lust, wie damals ein Stück Holz auszubohren und die glatte Rundung einer Flöte zu drechseln. Ich muß etwas tun, dachte er, sonst fange ich an, mich im Kreise zu drehen.
Als er am Morgen nach dieser Nacht vor das Haus trat, stand der türkisfarbene Herbsthimmel gläsern über dem schon fast kahlen Geäst der Bäume. Das richtige Wetter für einen Spaziergang zur Quelle, dachte er und ging rasch den Pfad entlang auf die graugrün unter der Sonne liegenden Wiesen zu. Schon von weitem sah er Arnilukka am Waldrand stehen. Man konnte ihr jetzt schon ansehen, daß sie ein Kind trug, doch ihm schien, daß sie dadurch noch schöner geworden war. Er sagte ihr das, nachdem er sie zur Begrüßung umarmt hatte, und sie dankte ihm mit einem Lächeln, aber er sah, daß ihre Augen ernst blieben.
»Was hast du?« fragte er. »Bist du traurig?«
Arnilukka ließ diese Frage unbeantwortet und sagte: »Komm, wir gehen noch einmal hinauf zur Quelle.«
Warum sagt sie ›noch einmal‹, dachte er, aber da war sie schon ein paar Schritte vorausgegangen, und so sagte er nichts, sondern drängte sich rasch durchs Gebüsch, bis er wieder neben ihr war. Auch diesmal spielten sie ihr Spiel, versuchten einander durch die Sträucher hindurch bei der Hand zu fassen, und das gelang ihnen um so leichter, als sie einander hinter den entlaubten Zweigen sehen konnten, doch Lauscher sah auch, wie schwer es Arnilukka jedesmal fiel, sich wieder von dieser Berührung zu lösen.
In dem Gehölz unterhalb der Quelle war der Boden bedeckt von dem leuchtendgelben Laub der Birken, über das sich die Schatten der herabhängenden haardünnen Zweige legten wie ein feines Gespinst. Lange Zeit saßen die beiden schweigend nebeneinander und schauten hinunter auf die welkenden Wiesen, die übersät waren von den blaßvioletten Tupfern der Herbstzeitlosen.
»Ich muß mit dir reden«, sagte Arnilukka schließlich.
»Ist das so schwer?« sagte Lauscher. »Wir können doch immer miteinander reden.«
»Ja«, sagte Arnilukka, »aber diesmal ist es schwer, einen Anfang zu finden.« Sie legte ihre Hand auf seine und fuhr dann fort: »Ich kann mein Kind nicht hier in
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