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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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den Hirtenhäusern zur Welt bringen, wo es keine Frau gibt, die mir beisteht. Und wenn ich noch länger hierbleibe, werde ich nicht mehr den schwierigen Pfad durch die Schlucht reiten können.«
    »Der Weg durch den Schauerwald wäre leichter«, sagte Lauscher, aber noch während er sprach, sah er schon das blanke Entsetzen in Arnilukkas Augen aufsteigen.
    »Nein!« schrie sie fast, und nach einer Weile fügte sie leiser hinzu: »Du weißt doch, daß ich diesen Weg nicht ertragen könnte. Ich werde morgen früh mit einem der Pferdeknechte nach Arziak reiten und dort den Winter über bleiben.«
    Lauscher war wie gelähmt. »Morgen schon«, sagte er und wußte doch, daß er es die ganze Zeit über geahnt hatte, aber nicht hatte wahrhaben wollen. »Also werde ich dich den ganzen Winter über nicht sehen.«
    »Ist das so wichtig?« sagte Arnilukka. »Wichtig ist nur, daß wir einander getroffen haben. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, wie es meiner Urahnin Urla ergangen ist, die als erste deinen Stein besessen hat. Sie war eine junge Frau, und ihr Kind war noch klein, als die Beutereiter ihren Mann erschlugen, und sie war verzweifelt, als dies geschehen war. Aber sie ist dann Zeit ihres Lebens eine derart glückliche Frau gewesen, daß sie jedem, der ihre Hütte betrat, etwas von der Liebe weitergeben konnte, die sie erfahren hatte.«
    »Das weiß ich; denn ich bin während der Zeit, in der ich als Stein über der Quelle stand, bei ihr zu Gast gewesen«, sagte Lauscher.
    Arnilukka schien sich über diese Mitteilung nicht weiter zu wundern, sondern sagte nur: »Dann bin ich fast sicher, daß du noch lernen wirst, dies zu begreifen. Es wäre schlimm, wenn du dich den Winter über hier in deine Traurigkeit einspinnen würdest. Schlimm für mich, weil ich das spüren würde, und auch schlimm für dich. Diese Art von Trauer ist wie ein gefräßiger Wurm, der dir das Herz aushöhlt, bis du nichts mehr fühlst. Auch darüber wollte ich mit dir sprechen. Was wirst du tun, wenn ich nicht mehr hier bin?«
    »Ich wüßte schon etwas«, sagte Lauscher und erzählte ihr von der Werkstatt seines Großvaters. »Könntest du mir von einem eurer Schmiede in Arziak ein paar Bohrer und die Messer für eine Drechselbank beschaffen? Den Rest baue ich mir schon selber zusammen, wenn du mir die nötigen Zimmermannswerkzeuge mitschickst. Holz gibt’s hier ja genug. Ich habe Lust, ein paar Flöten zu drehen. Vielleicht findet sich auch jemand, dem ich beibringen kann, darauf zu spielen.« Und dann beschrieb er ihr, wie das Werkzeug beschaffen sein mußte, das er dafür brauchte. Er redete sich in Eifer, riß ein Stück Birkenrinde ab und ritzte mit einem spitzen Stein die Umrisse der Geräte ein, die er haben wollte. Als er wieder aufblickte, um Arnilukka die Zeichnungen zu erklären, merkte er, daß die geheime Trauer aus Arnilukkas Augen verschwunden war. Sie ließ sich beschreiben, wie das mit dem Flötendrechseln vor sich ging, und bat ihn schließlich, ihr noch einmal auf seiner silbernen Flöte vorzuspielen.
    Daran hatte er selbst schon die ganze Zeit über gedacht; denn in seiner Vorstellung waren Tonfolgen entstanden, mit denen er seine Trauer über den Abschied hatte ausdrücken wollen, doch als er begann und dabei noch immer in Arnilukkas Augen schaute, mischte sich unversehens in diese Melodie ein Anflug von Fröhlichkeit, die alsbald überhand nahm und den letzten Nachklang von trüber Stimmung in einer übermütigen Folge von Läufen, Trillern und Sprüngen davonfegte. In Arnilukkas Augen tanzten leuchtende Farbsprenkel von Blau, Grün und Violett, während sie, die Arme um die Knie geschlungen, vor ihm saß und ihm zuhörte. Als er zuende gespielt hatte, küßte sie ihn auf den Mund und sagte: »Diese Musik werde ich den ganzen langen Winter über hören und mich daran freuen.«
    Am nächsten Morgen trafen sie einander noch einmal am Waldrand. Lauscher war zumute, als habe er den Abschied schon hinter sich, und es wollte ihm nichts rechtes einfallen, was er Arnilukka noch sagen könnte. Dann kam auch schon der Knecht mit ihrem Pferd. Lauscher half ihr in den Sattel, und dann ritt sie, ohne sich noch einmal umzuschauen, mit ihrem Begleiter talabwärts davon.
    In den nächsten Tagen war Lauscher damit beschäftigt, aus den Stapeln hinter seiner Hütte Holz herauszusuchen, das er für sein Vorhaben brauchen konnte. Für die Drechselbank legte er sich ein paar Stücke Eschen-Langholz beiseite, und außerdem fand er zwei schön

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