Stein und Flöte
lassen, wenn wir künftig nicht getrennt voneinander, sondern als Freunde in Dörfern und Ortschaften miteinander leben, indem jeder das zum gemeinschaftlichen Wohl beiträgt, worauf er sich am besten versteht. Ihr habt Erfahrung darin, wie man Erz gräbt und zu Werkzeugen oder Schmuck verarbeitet; wir wissen, wie man Pferde und Vieh züchtet. Es wird wohl eine Zeitlang dauern, bis wir uns aneinander gewöhnt haben, aber diese Fremdheit wird mit jedem Tage schwinden, den wir gemeinsam gearbeitet, und mit jeder Nacht, die wir zusammen unter einem Dach verbracht haben.‹
Das also ist die Rede, die Belarni vor dem Haus der Erzmeisterin gehalten hat, und als er geendet hatte, nahm ihn Akka vor aller Augen in die Arme und küßte ihn auf beide Wangen. Noch am gleichen Tage stimmte die Volksversammlung von Arziak diesem Vorschlag zu, und dann ritt Belarni mit seinen Begleitern zurück in den Wald, um den Rest der Horde zu holen. Von diesen Reitern war kaum einer unverletzt, und viele mußten erst einmal in den Häusern von Arziak gesundgepflegt werden, ehe Belarni mit ihnen zurück übers Gebirge reiten konnte, um das Lager in der Steppe abzubrechen. Schon damals ritten ein paar Männer aus Arziak mit ihm, und nach wenigen Wochen kehrten alle zurück samt den Alten, den Frauen und Kindern, ihrem Vieh und allem anderen Besitz. Einige von ihnen lebten noch eine Zeitlang in ihren Zelten, aber heute haben sich alle daran gewöhnt, in festen Gebäuden zu hausen. Auch die Mehrzahl der Pferdeknechte hier in den Hirtenhäusern stammt aus der Steppe, und sie denken kaum noch daran, daß ich früher einmal als Sklave ihre Pferde gehütet habe.«
»Also habe ich nun auch noch den Tod von Arnilukkas Vater auf dem Gewissen«, sagte Lauscher. Er hatte kaum noch einen anderen Gedanken fassen können, seit Wazzek vom Ende des Erzmeisters berichtet hatte, und fragte sich, wie er Arnilukka je wieder würde in die Augen sehen können. Wazzek fiel es nicht schwer, seine Gedanken zu erraten. »Fang nicht wieder damit an, deinen Anteil der Schuld zu berechnen«, sagte er. »Wenn du den Mut findest, mit Arnilukka darüber zu sprechen, wird dieser Tote nicht zwischen euch stehen.« Dann trank er seinen Becher aus, stand auf und wünschte Lauscher eine gute Nacht.
Lauscher lag noch lange schlaflos auf dem ungewohnten Bett und versuchte sich Worte zurechtzulegen, die dazu taugen konnten, Arnilukka den Anteil seiner Schuld am Tode ihres Vaters zu gestehen, doch seine Gedanken wurden immer aufs neue überschwemmt von der Flut der Gefühle, die in der vergangenen Nacht über ihn hereingebrochen war, als er das Traumbild all der früheren Jahre im Arm gehalten hatte, eintauchte in den Spiegel dieser schwer zu beschreibenden Augen und versank in dem wogenden Meer von Blau, Grün und Violett, das ihn mit sanften Armen umfangen und den letzten Rest seiner Versteinerung gelöst hatte. Schließlich wußte er kaum noch zu entscheiden, ob dies nur ein Traum gewesen war oder Wirklichkeit, und als er am nächsten Morgen neben Arnilukka am Waldrand entlang wieder talaufwärts ging, meinte er noch immer zu träumen und ertappte sich dabei, wie er nachsah, ob das Gras unter Arnilukkas Füßen zu Boden gedrückt würde oder ob sie nicht doch wie ein überirdisches Wesen über das Gras schwebe.
Es war offenkundig, daß sie nicht schwebte, sondern in ausgelassener Fröhlichkeit über die Wiese sprang und ihm hie und da ihre Hand durchs Buschwerk hinüberreichte, damit er sie berühren und anfassen konnte. Und auch der Zugriff dieser Hand war durchaus spürbar und fest. Bei einer solchen Gelegenheit ließ Lauscher Arnilukkas Hand nicht wieder los und sagte: »Warte! Ich muß mit dir reden, solange dieser Busch zwischen uns ist, sonst finde ich meine Worte nicht mehr, die ich dir sagen wollte.« Und dann erzählte er ihr, wie er die Pferde der Beutereiter mit seiner Flöte verzaubert und damit den Großen Reitersturm heraufbeschworen hatte. »Auf solche Weise«, sagte er schließlich, »bin ich mitschuldig geworden am Tode deines Vaters.«
Arnilukka schwieg lange, doch dann drängte sie sich plötzlich durchs Gebüsch, nahm ihn in die Arme und sagte: »Ach Lauscher, kommt es denn jetzt noch darauf an, was du früher einmal getan hast? Ich will dich so haben, wie du bist samt deinen Fehlern, Irrtümern und Schwächen.« Sie küßte ihn und sagte dann noch: »Außerdem ist das alles so lange her, und die Leute, die damals meinen Vater getötet haben, leben heute
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