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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Mäuserich zwischen ihre gewölbten Hände, daß er in einer warmen Höhle saß, und küßte ihn auf seine winzige Nasenspitze. Die anderen Mäuse fanden das höchst vergnüglich, und eine rief: »Jetzt hast du dir noch einen Namen verdient! Sollen wir dich nicht ›Den-die-Nymphe-küßt‹ nennen?«
    Dem ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹ war das ein bißchen peinlich, und er verkroch sich so zwischen Arnilukkas Händen, daß man ihn kaum noch sehen konnte. Aber als sie ihn wieder zu den anderen Mäusen gesetzt hatte, konnte man ihm doch ansehen, wie stolz er auf diese Auszeichnung war.
    So nahm dieses Fest in Fröhlichkeit seinen Fortgang, bis ›Der-dem-Falken-weissagt‹ zum Aufbruch mahnte. Er bedankte sich im Namen aller Mäuse für die Einladung, und als er sich von Lauscher verabschiedete, sagte er: »Achte gut auf deinen Stein! Der grünäugige Falke kreist noch immer am Himmel. Ich habe gehört, daß er allen Tieren fabelhafte Dinge versprochen habe, wenn sie eine bestimmte goldene Kette ausfindig machen würden. Weißt du etwas darüber?«
    »Ja«, sagte Lauscher. »Die Kette liegt an einem Ort, den keiner betreten kann.«
    »Auch du nicht?« fragte der Mäuserich.
    »Kaum«, sagte Lauscher. »Was sollte ich auch mit dieser Kette anfangen?«
    »Das kann man nie wissen«, sagte der Mäuserich. »Ich kenne diesen Falken, und ich habe so eine Ahnung, daß seine Geschichte noch nicht zu Ende ist.«
    »Damit könntest du recht haben«, sagte Lauscher und dachte an jenen Teil seiner Verzauberung, der noch immer wirksam war. Aber davon sagte er nichts; denn in dieser Sache würde ›Der-dem-Falken-weissagt‹ ihm wohl nicht helfen können. So dankte er dem Mäuserich nur noch einmal, daß er so lange Zeit seinen Stein gehütet hatte. Dann machten sich die Mäuse auf den Weg, manche zwar ein wenig schwankend, aber sie bemühten sich doch, einigermaßen würdevoll in zwei ordentlichen Reihen davonzuschreiten, zumindest solange man sie noch beobachten konnte.
    An diesem Tag berichtete Arnilukka, sie habe Nachricht aus Arziak erhalten, daß man in der Höhle unter der Großen Felswand die Leute gefunden habe, die eine Zeitlang als Narzias Hunde hatten leben müssen. »Gleich am nächsten Morgen, nachdem du mir von ihnen erzählt hast«, sagte sie, »habe ich einen Boten zu meiner Mutter geschickt und sie gebeten, die Leute suchen zu lassen. Sie haben dort all die Jahre in der Angst gelebt, die Beutereiter könnten sie doch noch aufspüren. Inzwischen waren sie übrigens zu zwölft; denn zwei der Männer haben sich mit Frauen zusammengetan, die ihnen dort in der Höhle Kinder geboren haben. Auch Lingli ist inzwischen Mutter von drei Mädchen. Nun wohnen sie samt ihrer Ziegenherde in einem Dorf weiter unten im Tal.«
    Lauscher und Arnilukka lebten diesen Sommer lang wie auf einer Insel außerhalb der Welt. Sie hatten keinen anderen Wunsch, als beieinanderzusein, und bekamen bald ein untrügliches Gespür für Orte, an denen sie beide ohne allzu große Bedrückung bleiben konnten, einen lichten Bestand von Haselstauden am Waldrand etwa oder das Erlengebüsch an einer Stelle, wo eine der Schleifen des Baches bis zum Wald herüberschwang. Aber ihr liebster Platz blieb doch das helle Birkengehölz oben bei der Quelle. Als sie an einem heißen Spätsommertag wieder einmal dort unter einer der Birken saßen und den Rücken an die weiße, seidige Rinde lehnten, sagte Arnilukka: »Ich erwarte ein Kind, Lauscher.«
    Nachdem er den Inhalt von Arnilukkas Worten begriffen hatte, empfand er diese Mitteilung zunächst als Störung des zeitlosen Schwebezustands, in dem er sich befand, und ihm wurde bewußt, daß er ohne einen Gedanken an die Zukunft in den Tag hineingelebt hatte, als müsse das in alle Ewigkeit so weitergehen, und eine Änderung war das letzte, was er sich hätte vorstellen können. Erst als er die Freude in Arnilukkas Augen sah, begriff er, daß dies auch sein Kind war, von dem sie gesprochen hatte, ein neues Leben, in dessen noch ungeborenem Körper ihrer beider Leben auf eine untrennbare Weise verbunden waren. »Wir werden ein Kind haben«, sagte er.
    »Ja«, sagte Arnilukka. »Und es wird im Winter auf die Welt kommen.«
    »Schön«, sagte er. »Warum nicht im Winter?« und umarmte sie.
    Erst ein paar Wochen später begann er zu begreifen, was sie ihm damit hatte sagen wollen. Der Herbst war mit kalten Stürmen über das Tal gekommen, fegte das welkende Laub von den Bäumen, und die Tage wurden immer seltener,

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