Stein und Flöte
Flöte für einen Augenblick absetzte und Schneefink zuraunte: »Jetzt du!«
Nun nahm der Junge mit seiner dunkler klingenden Holzflöte die Melodie auf, die jetzt schon manche der Feiernden mitsummten, und nach den ersten Takten begann Lauscher auf seinem silbernen Instrument dieses Lied mit rasch dahinperlenden Läufen zu umspielen, die wie der Gesang von Vögeln in den Abendhimmel aufstiegen, und als Schneefink das Lied zum zweiten Mal zu Ende gebracht hatte, begannen beide zugleich mit einer dritten Strophe, in die nun schon viele mit kräftiger Stimme einfielen. Sobald man hören konnte, daß die Sänger ihrer Sache sicher waren, gab Lauscher dem Jungen ein Zeichen, und nun sprangen beide Flöten von der Grundmelodie ab und umhüllten sie mit einem sprühenden Wirbel von Trillern.
Als sie das Lied auf solche Weise abgeschlossen hatten, erhob sich dröhnendes Beifallsgebrüll, denn dergleichen hatte man hier im Dorf noch nie gehört. Schneefink genoß es offensichtlich, zum erstenmal in seinem Leben und dann gleich auf solch überwältigende Weise öffentliche Anerkennung zu finden. »Sollen wir noch ein Stück spielen?« fragte er und griff schon nach seinem Instrument. Doch Lauscher hielt ihn zurück und sagte: »Laß sie erst noch ein bißchen mehr trinken, ehe wir ihnen ein Schlaflied spielen.«
Sie setzten sich wieder auf die Schwelle, und dann kam auch schon Schwingshackl mit dem Weinschlauch herüber und sagte: »Ihr habt auch einen Schluck verdient. Zwei Becher für dich und den Jungen werden sich wohl finden lassen.« Schneefink sprang auf und holte zwei hölzerne Trinkgefäße aus der Hütte, die der Häuptling bis zum Rand füllte. »Ich wußte gar nicht«, sagte er, »daß ich nun schon zwei Flöter im Dorf habe. Da hat es sich ja doch gelohnt, daß ich dich durchgefüttert habe. Hat mir gefallen, eure Musik, hat mir wirklich gefallen. Ihr dürft auf mein Wohl trinken.«
Er blieb noch so lange vor ihnen stehen, bis sie den Wein probiert hatten, als wolle er sich vergewissern, daß sie seine Gabe zu würdigen wußten. Daß sie nur jeder einen kleinen Schluck tranken, merkte er schon nicht mehr; denn als die beiden ihre Becher absetzten, hatte er sich schon wieder abgewandt und ging zu seinen Leuten zurück.
Auch an diesem Abend kamen die Dohlen zu Lauschers Hütte, blieben aber wegen der vielen Leute auf dem Dach sitzen. Nur Weißfeder flatterte herunter auf den Vorplatz und begutachtete, was Kiwitt ihnen diesmal hingestreut hatte. Während er den Vogel beobachtete, kam Lauscher ein Gedanke. »Das war eine interessante Geschichte, die du vorgestern erzählt hast«, sagte er.
Die Dohle flatterte vor Schreck ein Stück in die Höhe, als sie solcherart angesprochen wurde, doch dann siegte ihre Neugier, und sie ließ sich wieder auf dem Boden nieder, wenn auch in angemessener Entfernung. »Wo hast du unsere Sprache gelernt?« fragte sie.
»Das ist eine zu lange Geschichte, als daß ich sie dir jetzt erzählen könnte«, sagte Lauscher. »Vielleicht genügt es, wenn ich dir sage, daß von mir in einem Rätsel des Falken die Rede war. Vor allem weiß ich, wo man Ring und Kette suchen muß.«
Als sie das hörte, kam die Dohle wieder näher gehüpft und schaute ihn aufmerksam an. »Dann mußt du der Bocksfüßige gewesen sein, von dem man sagt, er sei Urlas Vater.«
»Der bin ich«, sagte Lauscher.
»Wenn das wahr ist, solltest du dich auf die Reise machen, um deiner Tochter zu helfen«, sagte Weißfeder.
»Das möcht ich ja gern«, sagte Lauscher, »aber es ist nicht so einfach, sich davonzumachen, wenn man von den Blutaxtleuten als Gefangener gehalten wird. Würdet ihr mir helfen?«
»Gern, wenn wir das können«, sagte Weißfeder sofort. »Schon um des stummen Mädchens willen. Was sollen wir tun?«
Da erzählte ihr Lauscher, daß er vorhatte, in dieser Nacht mit Schneefink zu fliehen. »Werdet ihr uns finden können, wenn wir in den Wäldern untergetaucht sind?« fragte er.
»Nichts leichter als das«, sagte Weißfeder. »Wo unter den Bäumen Leute unterwegs sind, kann man von oben die Vögel auffliegen sehen.«
»Dann folgt uns, bis ich dich rufe«, sagte Lauscher. Er brockte ein Stück Brot auf, und nun wagten sich auch die anderen Dohlen vom Dach herunter und pickten ihr Abendessen auf.
Mittlerweile hatte sich der Lärm auf dem Festplatz wieder gesteigert. Die meisten waren jetzt schon so betrunken, daß sie keinen geraden Schritt mehr gehen konnten. Einige, die der Wein schon gefällt
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